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Mit einem Festgottesdienst in München wurde Kardinal Friedrich Wetter am 17. Februar 2008 verabschiedet.

© dpa/Frank Mächler

Skandalöser Umgang mit dem Thema Missbrauch: Die Kirchen – der Wahrheit verpflichtet

Die Politik muss sie notfalls zur Aufklärung des Missbrauchs zwingen. Frau Faeser, übernehmen Sie! Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Mag das Thema auch keiner, keine mehr hören oder lesen – gesagt und geschrieben werden muss es: Der Umgang der Kirche mit dem Thema Missbrauch ist himmelschreiendes Unrecht. Und der Umgang der Politik damit grenzt an empörendes Desinteresse.

Man muss ja noch nicht einmal gläubig sein – jedenfalls im herkömmlichen Sinn, sodass man in das „System Kirche“ passt –, um sich aufzuregen. Schon gar als Politiker, als Volksvertreter sollte man das. Allein die schiere Zahl der Betroffenen, deren Leben durch Missbrauch zum Teil zerstört wurde, dürfte denen nur für den Moment die Sprache verschlagen.

Tausende leiden bis heute

Dann aber gilt, umso mehr und dazu laut die Dinge beim Namen zu nennen. Tausende sind es, die bis heute leiden, eine Studie sagt sogar, es seien in den beiden christlichen Kirchen je Hunderttausend.

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Ja, die offiziellen Zahlen sind geringer, die gemeldeten Fälle sind weniger. Aber glauben wir das? Das ist doch nur das „Hellfeld“; die Dunkelziffer zählt auch. Es wäre im Sinne der Sache im Gebot, sich hier nicht zu belügen. Sondern sich zu den Fehlern zu bekennen.

Teilnehmer eines Protestbündnisses demonstrieren in München gegen die "Vertuschung von Missbrauch in der katholischen Kirche".
Teilnehmer eines Protestbündnisses demonstrieren in München gegen die "Vertuschung von Missbrauch in der katholischen Kirche".

© dpa

Wie das gehen könnte? In „Wahrheitskommissionen“. Vorbild sind die, die vor Jahrzehnten in Südafrika zur Aufarbeitung des Unrechts der Apartheid gebildet wurden – nicht zuletzt auf Betreiben eines Bischofs, des später berühmten Desmond Tutu. Richtig ist in jedem Fall: Erst die Wahrheit macht frei. Und hilft den Opfern vielleicht ein wenig, lindert ihre Seelenpein und die Wut darüber, dass niemand ihre Klagen hören oder lesen will.

Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen

Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen – das darf die Kirche, gleich welche, nicht zulassen. In der Politik gab es einmal das Wort von der „brutalstmöglichen Aufklärung“. Das klingt vielleicht zu brutal. Aber schonungslos sollte sie schon sein, vor allem auch darin, dass sich selbst keiner schonen möge.

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Und weil sie schon erwähnt war, hier noch ein Wort, ein Satz zur Politik. Die Bundesinnenministerin ist nicht nur zuständig für Recht und Gesetz und Sicherheit; in ihren Verantwortungsbereich fallen auch die Religionsgemeinschaften. Sie muss sich schon von Amts wegen interessieren. Alles, was recht ist, Nancy Faeser sollte den Kirchen jetzt Druck machen. Schluss mit Zaudern und Zögern: Für diese Aufforderung findet sich dann sicher auch noch eine ganz große Koalition der religionspolitischen Sprecher in den Bundestagfraktionen.

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