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Wolfgang Clement: Sozialdemokrat ohne Parteibuch

Wolfgang Clement will mit der Rüge nicht leben – und kehrt der Partei den Rücken. Die FDP bietet sich großzügig als neue Heimat an. Doch Clement hat seine eigene Vorstellung von politischer Zukunft.

Von Hans Monath

Berlin - Zumindest in einem Punkt blieb sich Wolfgang Clement im Moment der Krise treu: So sehr sein Austritt am Dienstag Freund und Feind in der SPD überraschte, so sehr passt die plötzliche Entscheidung zum Bild und zum Charakter des 68-jährigen Nordrhein-Westfalen. Immer wieder vertrat der Jurist und Journalist während seiner politischen Laufbahn seine eigene Meinung auch gegen große Widerstände mit ruppigen Tönen, statt hartnäckig und freundlich um einen Konsens zu ringen. Als Brückenbauer zwischen unterschiedlichen Lagern machte sich der frühere Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens und „Superminister“ für Wirtschaft und Arbeit unter Gerhard Schröder jedenfalls keinen Namen – eher als manchmal starrsinniger Kämpfer für Reformen, der auf die Sehnsucht seiner eigenen Partei nach sozialer Gerechtigkeit wenig Rücksicht nahm. Trotzdem galt er zeitweise als Kronprinz Schröders, dem zugetraut wurde, dem Kanzler nachzufolgen.

Noch am Montagabend schien der gefährliche Konflikt der SPD mit ihrem prominenten Mitglied und ehemaligen Parteivize nach monatelangem Hickhack endlich ausgeräumt zu sein: Parteichef Franz Müntefering hatte sich eigens ins Bundesschiedsgericht bemüht, um einen endgültigen Bruch mit Clement zu vermeiden. Das sprach nur eine Rüge gegen den Genossen aus. Clement-Gegner in der SPD hatten dessen Ausschluss nach 38-jähriger Parteizugehörigkeit beantragt, weil er im hessischen Wahlkampf indirekt dafür geworben hatte, SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti wegen ihrer Energiepolitik nicht zu wählen. Besonders Parteilinke reagierten erbost und unterstellten dem Aufsichtsratsmitglied der RWE-Kraftwerkstochter RWE Power AG, er agiere als Lobbyist der Atomindustrie.

Die SPD-Führung glaubte die skandalträchtige Scheidung von Clement abgewendet zu haben, die sie weniger als ein Jahr vor der Bundestagswahl unbedingt vermeiden wollte, um dem Vorwurf der Wirtschaftsfeindlichkeit keine Nahrung zu geben. Clement selbst war im Sommer auf einer Pressekonferenz in Bonn der SPD noch entgegengekommen: Dort hatte er sich zwar nicht von seiner Warnung vor Ypsilantis Energiepolitik distanziert, aber zumindest Bedauern über eine mögliche Verletzung der Gefühle der Partei ausgedrückt. Umso erstaunter war Müntefering, als am Dienstagmorgen das Fax mit der Rücktrittserklärung in seinem Büro einging. Der SPD-Chef bemühte sich noch, den prominenten Dissidenten umzustimmen, doch der hatte seine Entscheidung da längst gefällt.

Der entschiedene Vorkämpfer der „Agenda 2010“ von Ex-Kanzler Gerhard Schröder kannte sich zu gut aus im Innenleben der SPD, als dass er sich über das Urteil der Schiedskommission wirklich hätte Illusionen machen können. 1981 hatte Hans-Jürgen Wischniewski den Journalisten als Sprecher des SPD-Bundesvorstands nach Bonn geholt. Sechs Jahre später stieg er zudem zum stellvertretenden Bundesgeschäftsführer auf. Doch schon 1986 warf er seinen Job als Sprecher von Willy Brandt hin, weil der damalige SPD-Chef vom Urlaub in Südfrankreich aus das offiziell verkündete Wahlziel infrage gestellt hatte.

In der Bundesschiedskommission hatte Clement noch seinen früheren Ministerkollegen Otto Schily für seinen Verbleib in der Partei kämpfen lassen. Doch mit der Rüge des Gremiums wollte sich der langjährige Vertraute von Johannes Rau dann nicht abfinden. Vor allem seine ehemaligen Koalitionspartner in Nordrhein-Westfalen und im Bund, die Grünen, haben Clement als sehr schwierigen, manchmal aufbrausenden Partner in Erinnerung. Schon im Kampf mit seiner NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn und später mit Bundesumweltminister Jürgen Trittin warnte Clement hartnäckig, dass ökologische Vorgaben Arbeitsplätze der Industrie gefährden würden. Aber auch mit Gewerkschaften und der eigenen Parteilinken geriet der ruppige „Superminister“ häufig aneinander.

In den drei Punkten, die der Parteiabgänger für seine Entscheidung („nach gründlicher Abwägung“) nennt, findet sich auch die Warnung vor einer „Deindustrialisierung unseres Landes“. Nicht hinnehmen will Clement, dass die Wahrnehmung seines „Grundrechts auf Meinungsfreiheit“ durch die Rüge eingeschränkt wird. Schließlich wirft er der SPD-Führung vor, keinen klaren Trennungsstrich zur Linkspartei zu ziehen, sondern in den Ländern die Zusammenarbeit mit den Erben der Stasi voranzutreiben. Schon vor der Hessen-Wahl hatte Clement den Linksruck seiner Partei und deren Flirt mit der Linkspartei beklagt und sogar mit seinem Austritt gedroht.

Die FDP reagierte schon damals so wie am Dienstag: Sie bot ihm die Mitgliedschaft an. Doch Clement will „Sozialdemokrat ohne Parteibuch“ bleiben Dass der nun Parteilose sich weiter „nach Kräften“ an den Debatten um die Linke und die Wirtschaftspolitik beteiligen will, kann die SPD-Führung nur mit Sorge wegen künftiger Schlagzeilen gelesen haben.

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