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Tabaluga, hilf! Regierungschef Jürgen Rüttgers bei einem Familienfest der CDU in Köln eine Woche vor der Landtagswahl.Foto: dpa

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Politik: Sprüche und Brüche

NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers inszeniert sich gern – und wird zum Opfer seiner selbst

Als Jürgen Rüttgers um den Jahreswechsel mit seinen engsten Beratern zusammensitzt, ist er sich seiner Sache sicher. „Der Rasen ist gemäht“, bilanziert der Düsseldorfer Regierungschef. Die eigenen Umfragewerte weisen sowohl für ihn wie für sein schwarz-gelbes Bündnis einen stabilen Vorsprung vor der Opposition aus, selbst die Irritationen aus Berlin scheinen die fest einkalkulierte Wiederwahl im Mai nicht zu gefährden. Im Wahlkampf, darüber ist sich die Runde rasch einig, wird er seinen Amtsbonus in die Waagschale werfen, gleichermaßen präsidial wie kompetent auftreten können. „Die anderen machen Wahlkampf, ich regiere“, verkündet Rüttgers siegessicher, als er im Januar vor die Öffentlichkeit tritt.

Nicht wenige haben sich damals über den Auftritt gewundert. Die Berliner Koalition lieferte unentwegt negative Schlagzeilen, aber auch in der eigenen Truppe waren die Anzeichen für eine erste Erosion der vor fünf Jahren überraschend deutlich gewonnenen Macht zu erkennen. Seit Monaten lieferten gleich mehrere bis heute nicht erkannte Maulwürfe Informationen aus der Regierungs- und Parteizentrale, die Rüttgers nicht besonders vorteilhaft aussehen ließen. Stets tauchten Details über Menschen aus seinem engsten Umfeld auf, die einer breiten Öffentlichkeit den Eindruck vermittelten, am Hofe Rüttgers herrschten Sitten, die so gar nicht zu dem sorgfältig inszenierten Bild des gütigen Landesvaters passen mochten. Da soll der Oppositionsführerin mal kräftig was „auf die Omme“ gegeben werden, dann beklagt sich der engste Mitarbeiter darüber, dass „richtig Scheiße gebaut“ worden sei und man wieder einmal „einen auf dicke Hose“ gemacht habe, obwohl man nichts in der Hand habe. In der Sache sind all die kleinen Hinweise eher Affärchen als wirklich Affären, aber die Häufung gibt einen Einblick in ein Regierungssystem, das die Frage aufwirft: Wie führt dieser christdemokratische Ministerpräsident, der sich so gern auf den sozialdemokratischen Vorgänger Johannes Rau beruft, eigentlich das größte Bundesland?

„Er hat sich überhaupt nicht verändert, überhaupt nicht“, antwortet Angelika Rüttgers, die Ehefrau des Amtsinhabers, in diesen Tagen auf vielen Bühnen, wenn sie nach den privaten Seiten ihres Mannes gefragt wird. Sie meint das natürlich als Kompliment und denkt daran, dass er genauso wie früher samstags die Brötchen holt und auch ansonsten frei von Allüren sei, die sich nach längerem Gebrauch der Macht bei nicht wenigen Menschen einstellen. Zu Hause in Pulheim mag diese Einschätzung bezogen auf Jürgen Rüttgers zutreffen, im Amt haben nicht wenige auch andere Facetten beobachtet oder, um es noch präziser zu beschreiben, man verliert den Überblick, welchen Jürgen Rüttgers man gerade vor sich hat.

Er geht, wie früher, gern in der Landtagskantine essen. Er legt die wenigen hundert Meter von der Staatskanzlei zum Parlament zu Fuß zurück, grüßt unterwegs mal diesen und jenen Bürger. Sein Gang und seine Haltung vermitteln allerdings so viel Distanz, dass Nähe nicht wirklich aufkommen will; was im Übrigen noch dadurch verstärkt wird, dass seine Bewacher den Schutzbefohlenen zu keiner Sekunde aus den Augen lassen. Während das nur äußere Zeichen sind, verzweifeln selbst Kabinettsmitglieder, wenn man sie fragt, wie das öffentlich inszenierte Bild dieses Ministerpräsidenten mit seinem eigenen politischen Kern zusammenpasse. „Ist schon erstaunlich, wie er sich da präsentiert“, wundert sich ein langjähriger Weggefährte, der bis heute die Hinwendung zum Arbeiterführer und dem Vorkämpfer für die sozialen Belange mit einigem Erstaunen zur Kenntnis nimmt. „Aber entscheidend ist, er regiert ganz anders“, fügt der Mann hinzu und gibt damit zu, dass der Vorwurf der Opposition, Rüttgers blinke links und biege dann rechts ab, nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. „Ich habe von ihm im Umfeld von Leipzig nichts gehört, damals kannte er den Arbeiterführer in sich wohl selbst noch nicht“, bekennt einer aus der engeren Unionsführung, der damals allein stand und heute die Politik nur noch von außen betrachtet.

Genau das ist Rüttgers’ Problem: Wofür steht der Mann? Fast fünf Jahre hat die Öffentlichkeit diese Frage nur mäßig beschäftigt. Er hat zwar die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst eingeschränkt, Studiengebühren eingeführt, sich aber trotzdem als das soziale Gewissen der Union profiliert. Dass es größere Brüche gibt, als er selbst zugibt, fällt einem breiteren Publikum erst auf, seit eigene Leute dafür sorgen, dass wenig vorteilhafte Details aus dem Innenleben von Partei und Regierung an die Öffentlichkeit dringen. Im Umfeld von Rüttgers gibt es zahlreiche enttäuschte Mitstreiter. Die haben, und das vermittelt einen ersten Eindruck über das Klima in der Nähe des Mannes, offenbar reichlich Akten und Papiere für den Fall gesichert, dass sie irgendwann einmal keine Rolle mehr spielen könnten. Genau diese Papiere dringen inzwischen fein getaktet nach draußen: Christdemokraten stecken kritischen Journalisten in Düsseldorf Akten zu über die umstrittene Videoüberwachung der Oppositionsführerin, das unerlaubte Zusammenspiel zwischen Regierung und Partei, die zu viel kassierten Krankenkassenbeiträge des CDU-Generalsekretärs, die nicht gezahlten Mitgliedsgebühren der Landtagspräsidentin. Während all das den Ministerpräsidenten nur mittelbar trifft, kommt der entscheidende Angriff von den eigenen Leuten erst kurz vor Ostern: die Sponsorenaffäre. Sie soll Rüttgers im Zentrum seiner Politik treffen, seine persönliche Glaubwürdigkeit erschüttern – und genau das gelingt.

Die Opposition steht dabei eher am Rande und kann sich darauf beschränken, die Dinge zu kommentieren. „Wir sehen das Sittengemälde der Regierung Rüttgers“, ätzt die Grüne Sylvia Löhrmann, die natürlich genau weiß , dass ihr all diese Sätze vorgehalten werden, sollte sie mit Rüttgers koalieren müssen.

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