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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede im Schloss Bellevue.

© dpa/Maryam Majd

Steinmeiers Rede: Sechs starke Sätze – und wer sich angesprochen fühlen muss

Der Bundespräsident richtet dringliche Mahnungen an beide Seiten des politischen Spektrums, weil er die Demokratie in Gefahr sieht. Seine Rede geht auch ins Konkrete – zum Beispiel für Eltern von Teenagern.

Stand:

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum Gedenktag 9. November mit dramatischen Worten gewarnt, in welch großer Gefahr sich die Demokratie in Deutschland befinde. Er ruft die Menschen im Land auf, die Freiheit zu verteidigen. Sechs wichtige Passagen aus seiner Rede – und wer sich angesprochen fühlen darf.

1 „Auch Brandmauern sind porös, wenn nicht auch Distanz zur Sprache, zu den Ressentiments, zu den Feindbildern der Rechtsextremen gewahrt wird.“

Hier legt der Bundespräsident mit Blick auf die rechte Seite des politischen Spektrums den Finger in die Wunde. Er mahnt alle demokratischen Kräfte, nicht bewusst oder unbewusst die AfD zu kopieren, auch innerlich echte Distanz zu wahren. Der Name der Partei fällt in seiner Rede nicht, aber es ist dennoch klar, wen er meint.

2 „Ein Parteienverbot ist die ultima ratio der wehrhaften Demokratie. Doch ich warne davor zu glauben, es sei die alles entscheidende Frage.“

Steinmeier mahnt auch diejenigen im linken Spektrum, die mit Verve dafür eintreten, die AfD zu verbieten. Aus seiner Sicht wäre es ein Trugschluss zu glauben, mit einem Verbot wäre das Problem gelöst. Und ganz offensichtlich fürchtet Steinmeier, der eine oder andere könnte das so sehen.

Zur Frage, ob die AfD verboten werden sollte, bezieht er nicht explizit Stellung, äußert sich für ein Staatsoberhaupt aber doch deutlich. Im Redemanuskript heißt es zu einem möglichen Verbot: „Dieser Tage schreien Gruppen vom rechten Rand bei diesem Thema reflexhaft auf: Das ist undemokratisch! Da kann ich nur sagen: Sie haben es doch selbst in der Hand!“ Wie im Rest der Rede nennt Steinmeier auch hier die AfD nicht. Dennoch ist klar, wen er meint.

Er stellt außerdem klar: „Wer sich gegen den freiheitlichen Kern unserer Verfassung stellt, der kann nicht Richterin, Lehrer oder Soldat sein.“

3 „Es ist wenig hilfreich, jede unliebsame Äußerung pauschal als ‘rechtsextrem’ zu diskreditieren. Jeden Anlass zu nutzen, Mitte-Rechts ein gemeinsames Lager mit Rechtsextremen zu unterstellen, ist nicht nur unklug; damit rütteln sie – auf andere Weise – auch selbst an der Brandmauer.“

Und noch eine Mahnung geht an diejenigen, die links der Mitte stehen. Steinmeier hält es für falsch, inflationär den Vorwurf zu erheben, jede unliebsame Äußerung sei rechtsextrem. Er macht klar, dass auch dies eine Art ist, die AfD zu normalisieren, sozusagen über Bande: Wenn die Linke ständig unterstellt, konservative Kräfte seien drauf und dran, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen, rückt sie das überhaupt erst in den Bereich des Denkbaren – so die These des Präsidenten.

Damit meint der Bundespräsident auch die Megadebatte um Migration. Er formuliert klar: „Es ist gefährlich, wenn Themen wie Migration und Sicherheit nicht besprochen werden können, weil sofort der Rassismusvorwurf im Raum steht.“

4 „Auch unser Parlament braucht stabile Mehrheiten, und es muss arbeitsfähig sein –  das ist die Verantwortung jedes einzelnen Abgeordneten.“

Dafür, dass Schwarz-Rot erst einige Monate im Amt ist, gab es schon enorm viel Unruhe gerade in den parlamentarischen Abläufen. Von diesen Worten des Bundespräsidenten dürfen sich beispielsweise all jene Abgeordneten der Koalition angesprochen fühlen, die Bundeskanzler Merz beim ersten Durchgang der Kanzlerwahl ihre Stimme verwehrten und so dem Regierungsbündnis einen kolossalen Fehlstart bescherten.

So ähnlich ging es weiter, als Teile der Unionsfraktion ihrem Vorsitzenden Jens Spahn die Gefolgschaft in Sachen Richterinnenwahl verweigerten. Der Vorgang stürzte die Koalition in eine sehr ernste, fast existentielle Krise. Der Bundespräsident appelliert: In instabilen Zeiten – Schwarz-Rot hat nur eine 12-Stimmen-Mehrheit – kommt es auf jede einzelne Abgeordnete und jeden einzelnen Abgeordneten an.

5 „Die Debatte zum Schutz Jugendlicher vor Social Media darf nicht zu lange dauern und sie darf erst Recht nicht im Sande verlaufen.“

Hier thematisiert Steinmeiner eine ganz konkrete politische Einzelfrage: Braucht es ein Verbot von Social Media für junge Menschen? An dieser Stelle in seiner Rede kommt er vom ganz Großen zum Detail.

Das zeigt, welche Bedeutung er genau diesem Thema beimisst. Der Bundespräsident sagt: „Die Zukunft unserer Demokratie, da bin ich sicher, wird sich im Netz entscheiden.“ Er schildert, wie groß die Gefahren sind: „Wir wissen doch längst, dass die Algorithmen Empörung, Polemik und Krawall befördern, dass sie Angst und Wut schüren. Sie beschädigen das Vertrauen in rationale Argumente und demokratische Politik, sie radikalisieren die Menschen, nähren den Extremismus und verführen zur Gewalt. Wir haben es immer wieder gesehen.“ Es sei höchste Zeit, dieser Gefahr wirksam zu begegnen.

Angesprochen fühlen dürfen sich also alle, die ein Social-Media-Verbot in die Tat umsetzen könnten – aber auch alle Eltern, denn sie sind zumindest mitverantwortlich, was ihr Nachwuchs im Netz so alles miterlebt.

6 „Aus dem Dauerwettbewerb der Untergangsszenarien erwächst keine Kraft.“

Hier richtet sich der Bundespräsident wohl besonders an die Medien. Was er meint ist: Wenn in Politik, Medien und Gesellschaft ständig nur vor Katastrophen, Krisen oder Bedrohungen gewarnt wird, entsteht daraus womöglich keine Handlungsfähigkeit, sondern Verunsicherung und Resignation.

Damit beschreibt er ein Grunddilemma des Journalismus: Die Lage der Welt ist nicht besonders rosig, und das muss wahrheitsgemäß beschrieben werden. Das Publikum mit dem Gefühl zu hinterlassen, es sei ohnehin nichts mehr zu retten, ist aber womöglich auch nicht die beste Idee.

Wer Krisen und Probleme immer noch ein bisschen dramatischer beschreibt als der Vorredner, findet Gehör. Steinmeier wünscht sich offenbar einen größeren Fokus darauf, wie die Dinge zum Besseren gewendet werden können – und hat mit der Rede zum 9. November versucht, seinen Beitrag dazu zu leisten.

Hinweis: Die Passagen aus Steinmeiers Rede sind gemäß Manuskript zitiert.

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