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Frank-Walter Steinmeier zum deutschen Schicksalstag.

© REUTERS/Maryam Majd

Stumme Demokraten: Das Fehlen einer Reaktion auf Steinmeiers Rede ist erschreckend

Wo bleiben die Regierenden, die dem Bundespräsidenten zur Seite treten? Immerhin hat er Extremismus-Alarm geschlagen – und das mit Recht. Die nächste Wahl steht vor der Tür.

Stephan-Andreas Casdorff
Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Stand:

Der Bundespräsident redet, die AfD, unter anderem die, greift ihn an – und wer verteidigt ihn? Die Frage zu stellen, heißt, sie zu beantworten. Wo aber Demokraten stumm sind, driftet die Republik.

Frank-Walter Steinmeier hat in seiner Rede zum 9. November getan, was ein Bundespräsident tun soll: Seismograf für Veränderungen zu sein. Nur ist es in diesem Fall mehr, es sind tektonische Verschiebungen. Sie können das ganze Land aus der Balance bringen.

Der Präsident erfährt es im Alltag, bei seinen „Ortszeiten“: Unsicherheit, gesellschaftliche Spannungen, das Gefühl, dass Werte nicht mehr selbstverständlich sind. Mit dieser Erfahrung ist er nicht allein. Aber er bleibt allein. Hört die politische Klasse nicht richtig zu?

Unsere Demokratie ist aktuell angegriffen wie seit der Wiedervereinigung nicht. Rechtsextreme, autoritäre Kräfte gewinnen Zustimmung, Populismus betreibt das Geschäft mit der Angst. Deshalb ist der Appell des ersten Bürgers der Republik jetzt eigentlich, sagen wir: erste Bürgerpflicht: Wir müssen handeln.

Die politische Mitte im Land ist dringend aufgefordert, die Verantwortung, die sie in den Händen hält, nicht zu verspielen.

Stephan-Andreas Casdorff

Demokratie ist kein Selbstläufer. Da geht es ums Konkrete im politischen Alltagsprozess, im Umgang mit Extremismus, im Schulunterricht, in zivilgesellschaftlichem Engagement. Wie werden aus Worten Reformen, Maßnahmen, sichtbare Veränderungen? Dafür zu handeln, dafür zu gestalten – ausgerechnet die Regierenden, deren Aufgabe das ist, stellen sich nicht an die Seite des Präsidenten.

Die unmäßige Kritik der AfD war zu erwarten. Steinmeier hat sie getroffen, zu einem Zeitpunkt, an dem die Debatte um Abgrenzung von und Machtteilung mit dieser Partei gefährlich ins Rutschen kommt.

Ja, der Bundespräsident hat Mitte-Rechts-Parteien aufgefordert, eine „Brandmauer“ gegenüber rechtsextremen Kräften zu halten. Doch wahrt er das Maß; denn zugleich mahnt er Mitte-Links-Kräfte, nicht jede Debatte zur Sache durch Rechtsextremismus- und Rassismus-Vorwürfe zu erschweren.

Die politische Mitte im Land ist dringend aufgefordert, die Verantwortung, die sie in den Händen hält, nicht zu verspielen. Es ist nämlich durchaus ein spielerischer Umgang mit den Gefahren, wenn auch die an der Spitze der Regierung sie erkennen, dann aber nicht ausreichend ernst nehmen.

Wohlverstanden hat der Bundespräsident ihnen eine Handlungsvorlage geliefert, eine im besten Sinn, über den einen Tag hinaus. Wo doch jetzt jeder Tag bis zur Wahl in Sachsen-Anhalt zählt.

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