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Die Mitglieder der NSU-Terrorzelle: Uwe Böhnhardt (rechts) mit Uwe Mundlos und Beate Zschäpe.

© dpa

150. Tag des NSU-Prozesses: Taten „quer durch das Strafgesetzbuch"

Uwe Böhnhardt war bereits ein Intensivtäter, bevor er Mitglied der rechtsextremen Terrorzelle NSU wurde. Seine kriminelle Vergangenheit beschäftigte das Münchner Oberlandesgericht am 150. Prozesstag.

Von Frank Jansen

Dass Uwe Böhnhardt untertauchen und als Terrorist des NSU zehn Menschen ermorden würde, konnte die Thüringer Justiz in den 1990er Jahren nicht ahnen. Aber dass sich der  Rechtsextremist aus Jena schon vor dem Gang in den Untergrund 1998 zu einem Intensivtäter entwickelte, war offensichtlich. Dennoch behandelten ihn die Richter manchmal erstaunlich milde. Im Oktober 1997 verurteilte das Landgericht Gera den Neonazi wegen Volksverhetzung zu zwei Jahren und drei Monaten Jugendhaft, doch er blieb auf freiem Fuß. Obwohl Böhnhardt  einschlägig bekannt war. Und im Januar 1998 waren er und seine Freunde Uwe Mundlos und Beate Zschäpe plötzlich weg, als die Polizei in Jena halbfertige Rohrbomben in einer Garage fand.

In ihrem Urteil hatten die Richter in Gera Böhnhardt eine kriminelle Karriere mit Taten „quer durch das Strafgesetzbuch“ bescheinigt. Bis 1997 war bereits aufgelistet: Fortgesetzter Diebstahl in besonders schwerem Fall, fortgesetztes Fahren ohne Fahrerlaubnis, Gefährdung des Straßenverkehrs, Widerstand gegen einen Vollstreckungsbeamten, Erpressung, gefährliche Körperverletzung,  Volksverhetzung, Verstoß gegen das Waffengesetz. 1993 saß Böhnhardt ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Danach sah er kein Gefängnis mehr von innen.  Da erschien am Mittwoch, dem 150. Tag im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München, schon fraglich, ob die Justiz vor Böhnhardts Gang in den Untergrund ihr Instrumentarium energisch genug genutzt hat, um die Öffentlichkeit vor einer derart kriminellen Figur zu schützen.

Die Justiz behandelte Böhnhardt milde

Die Münchner Richter verlasen nun das Urteil des Landgerichts Gera und zuvor eines des Amtsgerichts Jena.  Beide Male ging es um dieselben Delikte. Das Amtsgericht hatte Böhnhardt im April 1997 gegen Böhnhardt eine Jugendstrafe von  dreieinhalb Jahren verhängt, ein früheres Urteil war einbezogen. Aus Sicht des Amtsgericht war erwiesen, dass Böhnhardt im April 1996 an einer Autobahnbrücke nahe Jena einen Puppentorso mit der Aufschrift „Jude“ und einem Davidstern aufgehängt hatte. Die Figur war verkabelt mit einem Karton, auf dem „Vorsicht Bombe“ stand. Die Polizei beschoss den vermeintlichen Sprengsatz mit Wasserwerfern, um ihn zu zerstören, die Autobahn war drei Stunden gesperrt. Das Amtsgericht hielt Böhnhardt für überführt, da die Polizei an der Bombenattrappe einen Fingerabdruck von ihm entdeckt hatte. Außerdem wurde Böhnhardt wegen des geplanten Verkaufs von drei rechten, brachial volksverhetzenden CDs verurteilt. Böhnhardt bestritt alles und sein Anwalt ging in Berufung. So musste das Landgericht Gera sich im Oktober 1997 mit dem Neonazi beschäftigen. Das Ergebnis überraschte.

Die Richter hielten es nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ für nicht ausgeschlossen, Böhnhardts Behauptung könnte stimmen, er habe den Karton nur irgendwann einmal zufällig in der Hand gehabt. Böhnhardt bekam im Fall Puppentorso einen Freispruch, wurde aber wegen des „Vorrätighaltens“ der drei rechtsextremen CDs für einen Verkauf zu zwei Jahren und drei Monaten Jugendhaft verurteilt. Und das Landgericht bezog wie schon das Amtsgericht Jena eine frühere Strafe ein.

Am 26. Januar 1998 setzten sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe ab

Die Richter in Gera wandten noch das Jugendstrafrecht an, obwohl Böhnhardt bereits 20 Jahre alt war und auch wie ein Erwachsener hätte verurteilt werden können. Doch das Landgerichts erwartete, „dass der Angeklagte unter dem Eindruck der Strafe nachreift“, wie es im Urteil heißt. Das hätte vielleicht sogar geklappt – wenn Böhnhardt den Gang ins Gefängnis hätten antreten müssen, als das Urteil im Dezember 1997 rechtskräftig wurde. Das geschah nicht. Und am 26. Januar 1998 setzten sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe ab. Erst knapp 14 Jahre später, am 4. November 2011, endete die Existenz der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund" mit einem Showdown in Eisenach und Zwickau - nach zehn Morden, drei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen.

Ein Rechter verweigerte am Mittwoch vor Gericht die Aussage

Ein Rechtsextremist, der möglicherweise etwas zum Waffenarsenal des NSU hätte sagen können, verweigerte am Mittwoch in München die Auskunft. Jan W. soll 1998 in Kontakt zu den drei Untergetauchten gestanden haben – mit dem Auftrag, Waffen zu besorgen. Das berichtete damals ein rechtsextremer V-Mann dem Brandenburger Verfassungsschutz, der die Information an die Kollegen in Thüringen und Sachsen und im Kölner Bundesamt weitergab. Doch der Nachrichtendienst kam an Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nicht heran. Und die Rolle von Jan W. bleibt bis heute dubios. 1998 war er Anführer der Sektion Sachsen der internationalen, tiefbraunen Skinhead-Vereinigung „Blood & Honour“. Rechte Glatzköpfe aus diesem Milieu versteckten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in Chemnitz.

Jan W. hätte ein interessanter Zeuge sein können, doch er nahm sein Recht wahr, zu schweigen. Da die Bundesanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermittelt, konnte der Mann mit einem schlichten „Nein“ die Frage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl abblocken, ob er Angaben machen wolle. Nach nicht einmal fünf Minuten stand Jan W. auf und verließ den Saal A 101 des Oberlandesgerichts.

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