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Gescheitert: Demonstrantinnen für eine Paritätsregelung vor der Urteilsverkündung vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof.

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Thüringer Verfassungsgericht zum Parité-Gesetz: Rückschlag für die Quote

Thüringens Verfassungsgerichtshof hat das Parité-Gesetz gekippt. Was bedeutet das für die Regelung in Brandenburg?

Von Robert Birnbaum

Sein Urteil hat Signalwirkung weit über seinen Geltungsbereich hinaus, aber der Präsident des Thüringer Verfassungsgerichtshofs lässt gar keinen Zweifel erkennen. „Das Paritätsgesetz widerspricht der Thüringer Verfassung und dem hineinwirkenden Bundesverfassungsrecht“, verkündet Stefan Kaufmann am Mittwoch in Weimar.

Das Gesetz, mit dem Bodo Ramelows rot-rot-grüne Koalition die Parteien zu einem Reißverschlussverfahren für Frauen und Männer bei der Aufstellung von Wahllisten zwingen wollte, sei nichtig, also komplett rückgängig zu machen.

Es ist bundesweit das erste Urteil über den Versuch, mit Quotenvorgaben im Wahlrecht mehr Gleichberechtigung in Parlamenten zu erreichen. Der Versuch, so wirkt das, ist gescheitert. Die AfD als siegreiche Klägerin sieht das auch so: Einen „Sieg für die Demokratie und den Verfassungsstaat“ feiert Landeschef Björn Höcke. Doch so einfach ist die Sache nicht, sonst gäbe es kaum zwei Sondervoten von drei der neun Richter.

Das Paritätsgesetz, im vorigen Jahr vom Erfurter Landtag beschlossen, sah einen simplen Mechanismus vor. Auf den Kandidatenlisten, die Parteien zur Wahl aufstellen, mussten die Plätze abwechselnd mit einem Mann und einer Frau besetzt werden. Ausnahmen waren nicht zugelassen, nur für Diverse gab es eine Sonderregel. Listen, die das Reißverschlussverfahren nicht beachteten, sollten komplett oder zumindest ab dem Listenplatz von der Wahl ausgeschlossen werden, ab dem sie die Regel missachten. Für Direktmandate galt das alles nicht.

Einschränkung der Grundrechte

Dass die Bestimmung wesentliche Rechte, ja Grundrechte beschränkt, ist leicht zu erkennen. Der Verfassungsgerichtshof zählt sie in seinem Urteil denn auch auf: Freiheit und Gleichheit der Wahl, Chancengleichheit der Parteien, ihr Recht auf Betätigungs- und Programmfreiheit. Eine reine Frauen- oder Männerpartei etwa wäre von Staats wegen ausgeschlossen.

Wollte die Quote: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke).
Wollte die Quote: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke).

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Der juristische Knackpunkt ist allerdings ein anderer. Grundrechte dürfen nämlich auch im Wahlrecht eingeschränkt werden - wenn es dafür, so die Rechtsprechung, einen „zwingenden Grund“ gibt. Beispiele sind die Fünf-Prozent-Klausel oder das Mindestalter für Wähler wie Kandidaten.

Besonders zwingend können solche Gründe sein, die sich aus der Verfassung selbst ergeben. Und damit kommt das Grundgesetz ins Spiel. Artikel 3 stellt nicht nur fest, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Er verfügt auch, dass das in die Praxis umzusetzen sei: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Die Thüringer Landesverfassung geht darüber noch hinaus: Wo das Bundesrecht von „fördern“ spricht, heißt es im Landesrecht, die Gleichberechtigung sei von Staats wegen „zu sichern“. Damit wird aus dem Auftrag eine Pflicht.

Parité-Debatte noch nicht vorbei

Die Richtermehrheit erkennt denn auch an, dass diese Formulierung „grundsätzlich“ Eingriffe ins Wahlrecht rechtfertigen könnte. Aber, so der Kern des Urteils, wenn der Verfassungsgeber das so gemeint hätte, hätte er es reinschreiben müssen: Bei einem derart starken Eingriff in Wahlrechts- und Chancengleichheit der Partei seien „erhöhte Anforderungen an die Klarheit und Aussagekraft des Wortlauts“ zu stellen. Bei den Verfassungsberatungen in den 90er Jahren seien aber im Gegenteil mehrere Anträge auf Parität gescheitert.

Doch genau an der Stelle widersprechen die Sondervoten der Gewerkschafterin Renate Licht, des Sozialrichters Jens Petermann und der Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts, Elke Heßelmann. Sie werfen den Kollegen Ungenauigkeit vor: Die von den Verfassungsgebern verworfenen Paritätsanträge seien sehr viel weiter gegangen. Sie halten auch die Sicht der Mehrheit für falsch, dass nur erlaubt sei, was ausdrücklich im Text steht. Und schließlich und zuletzt habe das Bundesverfassungsgericht „begünstigende Regelungen“ zum Ausgleich faktischer Benachteiligung von Frauen ausdrücklich zugelassen.

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Parité-Befürworter sehen die Auseinandersetzung durch das Weimarer Urteil denn auch nicht beendet, im Gegenteil. Für Brandenburg, das erste Bundesland mit Paritätsgesetz, gelte die Thüringer Entscheidung sowieso nicht, sagt die Linken-Politikerin Andrea Johlige. Vor dem Landesverfassungsgericht sind mehrere Klagen anhängig, am 20. August soll darüber verhandelt werden.

Auch in Berlin planen Politiker der Senatskoalition ein Paritätsgesetz. Die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe rechnet auch in dem Fall mit Klagen. Das Urteil von Weimar sei nicht unerwartet gekommen, sagt sie dem Tagesspiegel. Aber das Urteil ignoriere die Verfassungsrealität. Und so, wie es begründet sei, biete es eine regelrechte „Steilvorlage für eine Verfassungsbeschwerde“ bei der nächsthöheren Instanz, dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

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