Fall Kurnaz: Untersuchungsausschuss lädt weitere Zeugen
Die Aufklärung des Falls Murat Kurnaz durch den Untersuchungsausschuss des Bundestages wird sich mindestens noch bis Ende Mai hinziehen. Der Anwalt zeigte sich empört über die fortgesetzte Beobachtung von Kurnaz.
Stand:
Berlin - Der Untersuchungsausschuss beschloss am Donnerstag die Vorladung weiterer Zeugen, darunter Ex-Staatssekretär Jürgen Chrobog aus dem Auswärtigen Amt, wie Vertreter von SPD und Grünen bestätigten. Für kommenden Donnerstag ist die Vernehmung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) geplant. Kurnaz' Anwalt äußerte sich unterdessen empört über einen Zeitungsbericht, demzufolge der ehemalige Guantanamo-Häftling noch im Februar von einem V-Mann des Bremer Verfassungsschutzes observiert wurde.
Der Ausschussvorsitzende Siegfried Kauder (CDU) hofft nach Angaben von Teilnehmern des nicht-öffentlichen Teils der Sitzung, den Komplex Kurnaz bis zur Sommerpause abschließen zu können. Grünen-Obmann Hans-Christian Ströbele hält dies aber für wenig wahrscheinlich. SPD-Obmann Thomas Oppermann äußerte die Vermutung, dass die Opposition das Thema "zu Tode reiten" werde.
Wird auch Schröder vorgeladen?
Von der Vernehmung Chrobogs verspricht sich Ströbele Aufschluss darüber, was im Auswärtigen Amt über die Gespräche zum Fall Kurnaz im Kanzleramt bekannt war. Der damalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hatte dazu in seiner Aussage keine Angaben gemacht. Der ehemalige Staatssekretär Chrobog wurde für den 26. April geladen. Am 10. Mai soll Ex-Kanzlerberater Bernd Mützelburg aussagen. Vom Ergebnis dieser Sitzung werde dann abhängen, ob auch Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) persönlich geladen werde, sagte Ströbele. Für den 24. Mai wurden Vertreter des Bundeskriminalamts (BKA) und der Bremer Behörden bestellt.
Bei der Sitzung standen Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche und Vize-BKA-Chef Bernhard Falk auf der Zeugenliste. Fritsche sei als damaliger Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz einer der "Schlüsselzeugen", sagte Kauder auf N-TV. "Es wird also eine spannende Vernehmung." Am Nachmittag folgen sollten der Bremer Innensenator Thomas Röwekamp und der frühere Vizechef des Bremer Verfassungsschutzes, Lothar Jachmann.
Observierung von Kurnaz im Februar 2007
Die "Berliner Zeitung" berichtete, Kurnaz sei noch am 1. Februar 2007 mindestens anderthalb Stunden lang von einem V-Mann des Bremer Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) mit dem Decknamen "Theta 300" observiert worden. "Das war der Zeitpunkt, als wir schon als Zeugen ausgesagt haben", sagte sein Anwalt Bernhard Docke im Hessischen Rundfunk. "Dass wir gleichzeitig auch noch unter Beobachtung stehen, das ist schon wirklich unglaublich."
Kurnaz war 2001 nach Pakistan gereist, dort festgenommen und den Amerikanern übergeben worden. Er saß danach mehr als vier Jahre lang im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba. Der Untersuchungsausschuss befasst sich mit der Frage, wie die Bundesregierung im Jahr 2002 die Gefährlichkeit des aus Bremen stammenden Türken einschätzte und auf welcher Grundlage sie zu ihrer Einschätzung kam.
Der "Weser-Kurier" berichtete, der Bremer Verfassungsschutz habe seinen eigenen Bericht über Kurnaz vom 20. Februar 2002 dreieinhalb Jahre später manipuliert. Der von Jachmann verfasste Bericht sei am 16. Dezember 2005 im Auftrag von Röwekamp umgeschrieben worden, um Gründe für ein Einreiseverbot gegen den Guantanamo-Häftling zu liefern. Laut Jachmann gab es seinerzeit keine bestätigte Information dafür, dass Kurnaz nach Pakistan reiste, um Verbindung zum Terrornetzwerk al-Qaida aufzunehmen oder gar in den Kampf zu ziehen.
BKA: Kurnaz war Sicherheitsrisiko
Das Bundeskriminalamt (BKA) hat Einschätzungen aus dem Jahr 2002 untermauert, wonach der Ex-Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz damals eine potenzielle Gefahr für die Sicherheit war. Der in Bremen geborene Türke sei einem als gefährlich eingestuften radikal-islamischen Umfeld in der Hansestadt zuzurechnen gewesen, sagte Vize-Chef Bernhard Falk im BND-Untersuchungsausschuss des Bundestags in Berlin. Es habe zudem Hinweise aus Bremen gegeben, dass Kurnaz damals mit "hoher Wahrscheinlichkeit" nach Afghanistan habe reisen wollen, um dort an der Seite der Taliban gegen die Amerikaner zu kämpfen.
Der damals 19-Jährige war im Oktober 2001, wenige Wochen nach den Terroranschlägen von New York, nach Pakistan gereist, um sich dort nach eigenen Angaben in einer Koranschule tiefer mit seinem islamischen Glauben zu befassen. Er verließ Deutschland am 3. Oktober, vier Tage vor Beginn der US-Militäroffensive in Afghanistan. "Wer begibt sich freiwillig vor Kriegsbeginn in einen Bereich, der mit hoher Wahrscheinlichkeit in Kriegshandlungen einbezogen wird", fragte Falk. (tso/AFP/dpa)
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: