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Kommunizieren in der Cloud. Ohne Regeln kann es hier nicht gehen.

© imago/Ikon Images

Eine Bill of Rights für das Internet: Verbinden statt trennen

Was eine europäische Erklärung digitaler Rechte und Grundsätze leisten muss. Ein Gastbeitrag.

Stand:

Margrethe Vestager ist Exekutiv-Vizepräsidentin der Europäischen Kommission. Aus dem Englischen von Sandra Pontow. Copyright: Project Syndicate, 2022. www.project-syndicate.org

Um zu erkennen, warum das Internet wichtig ist, hätten wir keine Pandemie gebraucht. Aber sie hat uns daran erinnert, dass wir unsere Sache gut machen müssen, wenn wir die Online-Erfahrung aktiv gestalten wollen. Wie wir mit der digitalen Welt umgehen, sagt viel darüber aus, wer wir sind.

Zunächst einmal ist es hilfreich zu wissen, was wir konkret erreichen wollen. Wir wollen zum Beispiel, dass die Menschen Zugang zu erschwinglichen Netzwerken haben und über die digitalen Kompetenzen verfügen, um Technologien zu nutzen. Wir wollen entscheiden, welche Daten wir weitergeben und wann und mit wem wir sie teilen. Wir wollen wissen, welchen CO2-Fußabdruck unsere Tablets und die Videos, die wir streamen, hinterlassen. Wir wollen online genauso gut geschützt sein wie offline. Und wir wollen die Möglichkeit haben, die Verbindung zu unterbrechen.

Jeder in Europa – und im Rest der Welt – sollte sich auf diese Grundprinzipien verlassen können. Jeder sollte wissen, dass diese Rechte existieren und geschützt werden müssen. Neben den nationalen Regierungen und den Mitgliedern des Europäischen Parlaments sprechen sich 82 Prozent der Menschen in allen 27 EU-Mitgliedstaaten dafür aus, dass die Europäische Kommission einen gemeinsamen Rahmen für digitale Rechte und Grundsätze festlegt und fördert.

Im Mittelpunkt der Mensch

Genau das haben wir jetzt getan. In der von der Kommission vorgeschlagenen Erklärung zu digitalen Rechten und Grundsätzen, die Ende des vergangenen Monats veröffentlicht wurde, steht der Mensch im Mittelpunkt. Ausgehend von dieser Vision haben wir die von uns vorgeschlagenen Grundsätze und Rechte in sechs Kapitel gegliedert.

Erstens sollte Technologie einen angemessenen Zweck erfüllen: Sie sollte uns, den Menschen, dienen, die im Mittelpunkt des digitalen Wandels stehen. Wir sollten in der Lage sein, unsere Ziele in dem Wissen zu verfolgen, dass wir sicher sind und dass unsere Grundrechte respektiert werden.

Zweitens ist der gesellschaftliche Zusammenhalt entscheidend. Jeder muss das Gefühl haben, dazuzugehören und von der Digitalisierung profitieren zu können. Deshalb enthält unser vorgeschlagener Rahmen Verpflichtungen zu digitaler Bildung, Konnektivität und digitalen öffentlichen Diensten. Ein verlässlicher Zugang zur digitalen Gesundheitsversorgung in der gesamten Europäischen Union (der uns während der Pandemie sehr geholfen hätte) fällt ebenfalls unter diese Rubrik.

Im dritten Kapitel geht es um die Freiheit der Wahl. Künstliche Intelligenz darf die Entscheidungen der Menschen nicht vorwegnehmen, Algorithmen müssen transparent sein und Datenstichproben müssen so unvoreingenommen wie möglich sein. Diese Grundsätze sind notwendig, um nicht nur unsere persönliche Handlungsmacht zu schützen, sondern auch unsere Gesundheit und Sicherheit.

Viertens müssen wir eine umfassende Teilhabe im digitalen öffentlichen Raum sicherstellen. Das bedeutet, dass wir uns bemühen müssen, unsere Demokratien zu schützen, sei es durch Maßnahmen zum Schutz der freien Meinungsäußerung oder durch Regeln gegen illegale Inhalte oder Desinformation. Wir wollen, dass das Ökosystem für Online-Informationen die demokratische Debatte anregt und nicht Filterblasen schafft oder Spaltung und Polarisierung schürt. Die Menschen sollten Zugang zu Informationsquellen in einer Sprache haben, die sie kennen.

Schutz der Kinder

Fünftens sind Sicherheit, Schutz und Befähigung von entscheidender Bedeutung. Jeder sollte Zugang zu digitalen Technologien, Produkten und Dienstleistungen haben, die sicher vor Cyberangriffen sind und die Privatsphäre schützen. Wir müssen vor allem unsere Kinder vor Straftaten schützen.

Eine abschließende Priorität ist die Nachhaltigkeit. Wir müssen sicherstellen, dass Nutzer Zugang zu Informationen über den ökologischen Fußabdruck einer Technologie haben, und wir müssen Technologien fördern, die uns helfen, unsere ehrgeizigsten Klimaziele zu erreichen. Glücklicherweise haben digitale Technologien das Potenzial, uns dabei zu helfen, mehr Emissionen zu reduzieren, als sie verursachen, indem sie innovativere Geschäftsmodelle, effizientere Dienstleistungen und ein besseres Ressourcenmanagement ermöglichen.

Kurz gesagt fasst unsere Erklärung zusammen, was im täglichen Leben der Europäerinnen und Europäer am wichtigsten ist. Es geht um Befähigung, Teilhabe, Zugang, Ressourcennutzung und Sicherheit. Es geht darum, Technologie so zu nutzen, dass sie die Menschen verbindet und nicht trennt. Indem wir diese Grundsätze und Rechte formulieren, haben wir einen klareren Bezugspunkt – eine Blaupause für den digitalen Wandel. Dies ist der erste Schritt für politische Entscheidungsträger, die neue Initiativen entwickeln, und für Unternehmen, die an neuen Technologien arbeiten.

Mit unseren digitalen Grundsätzen setzen wir einen europäischen Standard, von dem wir hoffen, dass er zur Verankerung ähnlicher Ansätze in der ganzen Welt führen wird – so wie wir es mit dem Datenschutz und den Verbraucherrechten getan haben. Viele unserer internationalen Partner führen ähnliche Debatten, und als ich kürzlich in Washington, D.C., über unseren Ansatz diskutierte, konnte ich feststellen, dass er viele Gemeinsamkeiten mit Vorschlägen in den Vereinigten Staaten für eine digitale Bill of Rights aufweist.

Jährliche Befragung

Um der Erklärung die ihr gebührende Sichtbarkeit zu verleihen, wollen wir, dass sie in diesem Frühjahr von den Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates und der Europäischen Kommission unterzeichnet wird. Wir beabsichtigen auch, sie in unsere jährliche Überwachung der Fortschritte bei der Verwirklichung der digitalen Ziele der EU für 2030 einzubeziehen, und wir werden die Europäerinnen und Europäer Jahr für Jahr zu ihren digitalen Anliegen befragen.

Einer vor einigen Monaten durchgeführten Umfrage unter EU-Bürgerinnen und Bürgern zufolge erwarten acht von zehn, dass die Nutzung digitaler Werkzeuge ihnen mindestens ebenso viele Vorteile wie Nachteile bringen wird. Ein erheblicher Anteil der Befragten (fast 40 Prozent) war sich jedoch nicht bewusst, dass sie online die gleichen Grundrechte (Meinungsfreiheit, Privatsphäre, Nichtdiskriminierung) haben wie offline.

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Unsere Befragungen zeigen, dass wir einen Nerv getroffen haben. Je mehr unsere Gesellschaft digitalisiert wird, desto mehr müssen wir für unsere Online-Rechte sensibilisieren und deren Durchsetzung verbessern. Die Erklärung der digitalen Rechte und Grundsätze sollte die Grundlage unserer Überlegungen werden.

Der auf den Menschen ausgerichtete Ansatz für den digitalen Wandel muss unser gesamtes Handeln leiten. So einfach ist das. Die Achtung der Grundrechte – sowohl online als auch offline – ist der Kern dessen, was es heißt, Europäer zu sein.

Margrethe Vestager

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