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Alexander Gauland (l.) und Björn Höcke

© AFP/Christof STACHE

Verfassungsschutz: Das Gutachten, das die AfD zum "Prüffall" macht

180 Reden von 50 AfD-Leuten wurden analysiert: Der Verfassungsschutz geht von Anhaltspunkten „für eine verfassungsfeindliche Bestrebung“ aus.

Von Frank Jansen

Die Lektüre ist beklemmend. Auf 442 Seiten berichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in seinem Gutachten zu „tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der ,Alternative für Deutschland’ (AfD) und ihren Teilorganisationen“, in welchem Ausmaß die Partei nach rechtsaußen driftet.

Das brisante Papier ist als „Verschlusssache“ und „Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft. Das ist die niedrigste Geheimhaltungsstufe. Im Gutachten werden nur öffentliche Äußerungen von AfD-Politikern genannt. Das BfV nimmt zu jedem Zitat eine Bewertung vor. Ausgewertet wurden unter anderem mehr als 180 Reden von 50 AfD-Leuten. Das Papier wird bald Gegenstand eines Rechtsstreits werden, die AfD will klagen. Auf der Basis des Gutachtens hat das BfV die Gesamtpartei zum „Prüffall“ erklärt. Die AfD-Vereinigungen „Junge Alternative (JA)“ und „Der Flügel“ wurden sogar als „Verdachtsfall“ eingestuft.

Der Extremismus der Mehrzahl der AfD-Politiker hat sich in den letzten Jahren derart deutlich in aller Öffentlichkeit gezeigt, dass die Idee, man müsste da noch irgendwas prüfen, überhaupt die Partei nicht direkt verbieten, ein Hohn ist.

schreibt NutzerIn stefano1

Welche Rolle spielt AfD-Chef Alexander Gauland?

Im Gutachten taucht Gauland so häufig auf, dass sich der Eindruck aufzwingt, er sei eine der treibenden Kräfte der Radikalisierung der AfD. Und inhaltlich neben dem Thüringer Parteichef Björn Höcke, der in der Öffentlichkeit als der härteste Agitator gilt. Im Kapitel zu „Aussagen von Führungsfunktionären“ gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung stehen Reden von Gauland und Höcke nebeneinander.

„Wir befinden uns in einem Kampf gegen Kräfte, die ihr globalistisches Programm der Nationenauflösung, der ethnisch-kulturellen Vereinheitlichung und der Traditionsvernichtung als die Menschlichkeit und Güte selbst verkaufen. Wir sollen uns im Dienst des Menschheitsfortschritts verdrängen lassen. Wir sollen uns als Volk und Nation in einem großen Ganzen auflösen. Wir haben aber kein Interesse daran, Menschheit zu werden. Wir wollen Deutsche bleiben“, sagte Gauland am 9. Juni 2018 in seiner Rede beim Parteitag der bayerischen AfD. Eine Seite weiter im Gutachten kommt Höcke.

Der Wortführer der „Flügel“-Truppe wird mit einer Äußerung zur „Einwanderungspolitik“ zitiert. Gelinge es nicht, die Weichen anders zu stellen, „dann werden wir in Deutschland und Europa einen Kultur- und Zivilisationsbruch historischen Ausmaßes, ja liebe Freunde, dann werden wir eine kulturelle Kernschmelze erleben, das wollen wir nicht und das müssen wir gemeinsam verhindern. (...) Diese auf Verantwortungsethik beruhende Einsicht existiert leider bei den Altparteien im Altparteienkartell nicht, dort will man, dass die Deutschen verschwinden, sie und ihre Kultur“. So äußerte sich Höcke am 9. September 2017 bei einer Wahlkampfrede in Berlin.

Die Bewertung durch das BfV: „In den genannten Aussagen finden sich erste tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass einige wenige, meist identische, aber gleichwohl herausgehobene Protagonisten der Partei ein ethnisch-biologisch bzw. ethnisch-kulturell begründetes Volksverständnis propagieren, das gegen die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG verstößt“ – also gegen die erste, zentrale Aussage des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Wer fällt noch in der Gesamtpartei auf?

Nur selten, aber unter anderem mit Islamfeindlichkeit wird Alice Weidel erwähnt. Sie führt mit Gauland die Bundestagsfraktion der AfD. „Der Islam bedeutet Steinzeit. Wer aber in der Neuzeit lebt und Kompromisse mit der Steinzeit schließt, der landet im Mittelalter. Mit dem Islam darf es keine Kompromisse geben“, sagte Weidel im April 2017 in einem Interview des Rechtsaußenblattes „Junge Freiheit“.

Beatrix von Storch, Vizechefin der Fraktion, wird mit der Behauptung zitiert, „in den Moscheen wird gegen unsere Rechtsordnung, gegen Juden und Christen gehetzt“. Deshalb müssten „die Moscheen“ vom Verfassungsschutz überwacht werden. Von Storch hatte ihre Parolen im August 2017 bei Facebook von sich gegeben. Ralf Özkara, von März 2017 bis April 2018 einer der Landessprecher der AfD in Baden-Württemberg, rief im Mai 2018 bei einer Demonstration, „lasst uns jetzt den Islam aus Deutschland herausschlagen. Der Islam ist ein verwesender Kadaver in unserem Land“. Özkara ist heute Referent der AfD-Fraktion im bayerischen Landtag.

Die Hassreden bewertet das BfV nicht alle gleich, das Bemühen um eine differenzierte Bewertung ist generell im Gutachten unverkennbar. Am Ende des Kapitels „Islamfeindliche Positionen“ kommt der Nachrichtendienst allerdings zu einem klar negativen Ergebnis.

In der Gesamtschau der zitierten Aussagen von Führungsfunktionären der AfD ergebe sich „eine so fundamentale Ablehnung des Islam und eine pauschalisierte Herabwürdigung von Muslimen“, dass von Anhaltspunkten „für eine verfassungsfeindliche Bestrebung auszugehen ist.“

Zum Glück leben wir in einer pluralistischen Demokratie, in der der mündige Bürger selbst entscheiden kann, wem er das Mandat zur Durchsetzung seiner Interessen gibt. Eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit der AfD bedarf nicht der Instrumentalisierung des Geheimdienstes, sondern einer nüchternen Problemanalyse  und - lösung.

schreibt NutzerIn torsten379

Wie wird „Der Flügel“ beschrieben?

Der im März 2015 gegründete „Flügel“ ist ein loser Zusammenschluss in der AfD, eingetragene Mitglieder gibt es nicht. Den radikalen Ton gibt Höcke vor, der ähnlich rechts gestrickte André Poggenburg hat die Partei jedoch kürzlich verlassen. Poggenburg wird allerdings im Gutachten genannt.

Als weitere „Aktivisten“, die dem Flügel zuzurechnen wären, nennt das BfV den brandenburgischen AfD-Chef Andreas Kalbitz und Hans-Thomas Tillschneider, Landtagsabgeordneter der AfD in Sachsen-Anhalt. Zentrales Ereignis sind die jährlichen „Kyffhäusertreffen“, bei denen Höcke und weitere AfD-Prominente vor Hunderten Anhängern wilde Reden halten.

Höcke, Tillschneider und eingeschränkt auch Kalbitz hätten sich in ihren Reden zu einer „völkisch-nationalistischen Ideologie“ bekannt, „die allein das Überleben des als historisch gewachsene, organische Einheit gedachten Volkes für wichtig hält, hinter dem das Wohlergehen des einzelnen Menschen zurückzutreten hat und die deswegen mit der Garantie der Menschenwürde nicht vereinbar ist“, schreibt das BfV. Und erwähnt auch, dass 2018 Gauland beim Kyffhäusertreffen auftrat, AfD-Co-Chef Jörg Meuthen im Jahr zuvor.

Der Nachrichtendienst betont auch die Bedeutung von Höckes Auftritt bei einer Veranstaltung der „Jungen Alternative“ im Januar 2017 in Dresden. Der AfD-Mann bezeichnete das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ und erntete Jubel. Außerhalb der AfD löste die Rede Empörung aus. Das BfV wertet Höckes Äußerungen in Dresden als „Beleg für ein zumindest in Teilen revisionistisches und verfassungsschutzrelevantes Geschichtsbild“.

Was steht zur „JA“ im Gutachten?

Dass Mitglieder der Nachwuchsorganisation Höckes Dresdener Rede beklatschten, ist kein Zufall. Das BfV sieht schon im zentralen politischen Programm der Jungen Alternative, dem „Deutschlandplan“, problematische Positionen. Beäugt werden „Zielvorstellungen, die dem Prinzip der Menschenwürde entgegenstehen oder das Rechtsstaatsprinzip berühren“.

Als „besonders kritisch“ bezeichnet das BfV die im Plan genannte Konzeption des Asylrechts als „mildtätiges Gnadenrecht“. Es hätte zur Folge, „dass Flüchtlinge und Asylbewerber de facto rechtlos würden und im Hinblick auf ihren Aufenthaltsstatus der Willkür staatlicher Entscheidungen ausgesetzt wären“.

Der Nachrichtendienst beschreibt zudem „personelle Verflechtungen“ und „inhaltliche Parallelen“ bei der JA und der rechtsextremen Identitären Bewegung. Die Verbindungen waren bereits ein Anlass für die Verfassungsschutzbehörden in Bremen, Niedersachsen und Baden-Württemberg, die Beobachtung der JA aufzunehmen.

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