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Politik: Wahrheit nützt nichts

Von Malte Lehming

Es sind große, gewichtige Worte. In ihnen soll Tatkraft mitschwingen, Optimismus, eine Vision. Aber sie haben sich verbraucht. Sie klingen wie jener Engel bei Heinrich Böll, der auf dem Weihnachtsbaum sitzt und mechanisch „Frieden“ flüstert, während um ihn herum Verzweiflung herrscht. Am Dienstag trat der amerikanische Präsident vor die Vereinten Nationen. Wieder verteidigte er den Irakkrieg. Wieder sprach er von der „Ausbreitung der Freiheit“, wieder von einer besseren Welt, wieder von einer Demokratisierung des Nahen Ostens. Doch Rede und Realität trennt längst ein tiefer Graben. Im Irak tobt das Chaos. Anschläge, Entführungen und Enthauptungen folgen in immer schnellerem Tempo aufeinander. Eine überzeugende Strategie, den Aufstand niederzuschlagen, ist nicht zu erkennen. George W. Bush und der Irak: Die Bilanz ist verheerend.

Wer das bezweifelt, möge sämtliche Sicherheitsexperten befragen, die Geheimdienstdossiers studieren oder regelmäßig die Nachrichten verfolgen. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Auch UNGeneralsekretär Kofi Annan konnte sich zum Auftakt der Generalversammlung ein paar Seitenhiebe auf die derzeitige US-Regierung nicht verkneifen. Den Vorwurf der Illegalität des Irakkrieges brauchte er nicht zu wiederholen. Inzwischen reicht es, die „Herrschaft des Rechts“ anzumahnen, damit jeder weiß, wer gemeint ist – der dickköpfige Alleingänger aus dem Weißen Haus.

Selbst Parteifreunde von Bush zeichnen bereits ein trübes, weil wahrheitsgetreues Bild der Situation. Und konservative US-Kommentatoren machen keinen Hehl mehr daraus, dass die Regierung die Truppen im Falle ihrer Wiederwahl ganz rasch abziehen wird. Denn natürlich spürt auch jeder im Kabinett, dass dieser Krieg ein Fehler war. Nur zugeben darf das keiner. Schließlich trägt man die Verantwortung für jene 140 000 Soldaten, die vor Ort ihr Leben einsetzen. Außerdem wird in sechs Wochen gewählt.

Die Opposition braucht nichts zu verschleiern oder zu beschönigen. Sie darf auf die Pauke hauen. Nur haben ihre Spitzenkandidaten, John Kerry und John Edwards, das lange nicht getan, weil sie sich auch damit ein Problem einhandeln. Als Senatoren haben sie im Kongress für den Krieg gestimmt. Zu diesem Votum standen sie – bis vorgestern. Nun, da die Lage im Irak eskaliert und Kerry in den Umfragen zurückliegt, haben sie die Wende vollzogen. Am Montag sagte Kerry, der Krieg sei ein Fehler gewesen. Er habe Amerika unsicherer gemacht. Von Saddam Hussein sei keine ernsthafte Gefahr ausgegangen. Das ist eine Zäsur. Zumindest haben die Demokraten eindeutig Position bezogen. Nun weiß der Wähler endlich, woran er mit ihnen ist.

Die Wahrheit auszusprechen, kann freilich gefährlich sein. Manchmal will man sie schlicht nicht hören. Das musste im Jahre 1990 Oskar Lafontaine erfahren, als er die „blühenden Landschaften“ bestritt, die Helmut Kohl am Horizont sah. Kerry ist nun also – im Nachhinein und nach vielen rhetorischen Verrenkungen – gegen den Krieg. Was aber nützt das, vor allem: Welchen Nutzen hat Amerika davon? Er kann die Fehler ja nicht ungeschehen machen. Könnte er als Präsident wirklich Vereinte Nationen, Nato und Verbündete überreden, den USA zu Hilfe zu kommen und größere Lasten im Irak zu schultern? Das glaubt kaum jemand. Sind mehr als tausend US-Soldaten vergebens gestorben? Das hören die Angehörigen der Opfer von einem potenziellen Oberkommandierenden der Streitkräfte nicht gern. Und warum hat Kerry so lange gebraucht, bis er einen klaren Standpunkt zum zentralen Wahlkampfthema bezog? Das schmeckt nach taktischer Finesse.

Bush zweifelt nie an sich, hat aber gravierende Fehler gemacht. Kerry benennt diese Fehler, ist sich aber seiner eigenen Sache nie ganz sicher. Würde es am 2. November nur darum gehen, Bush für seine Leistungen zu belohnen oder zu bestrafen, hätte er keine Chance. Aber es geht um mehr – um die Frage, ob Kerry es besser kann. Kein anderer als Bill Clinton hat seine Parteifreunde gewarnt. In Krisenzeiten, sagte der Ex-Präsident, sei „stark und falsch“ besser als „schwach und richtig“.

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