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„Wir sehen keinen Nutzen darin“: Warum Bremens Jüdische Gemeinde auf einen Antisemitismusbeauftragten verzichten will
In Bremen soll eine Alternative zur Arbeit anderer Bundesländer entstehen. Das Ziel: „Jüdisches Leben soll sichtbarer im Alltag gemacht werden.“
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Sechzehn Antisemitismusbeauftragte gibt es in Deutschland. Einen für den Bund und je einen für jedes Bundesland – macht eigentlich siebzehn. Aber in Bremen gibt es keinen Antisemitismusbeauftragten. Und zwar nicht, weil es in Bremen etwa keinen Antisemitismus gäbe, im Gegenteil. Sondern weil die Jüdische Gemeinde eine andere Idee hatte.
Sie steht auf dem Standpunkt: Anstatt den vorhandenen Antisemitismus zu verwalten, sollte man die Sache anders angehen. „Wir sehen keinen Nutzen darin. Ein Antisemitismusbeauftragter als Institution ist ein lebendig gewordenes Versagen der demokratischen Gesellschaft“, sagt Grigori Pantijelew von der Jüdischen Gemeinde in Bremen. Jüdisches Leben finde seit Jahrzehnten „hinter dem Zaun und unter polizeilicher Bewachung statt“, sagt Pantijelew. „Die langjährige Strategie der Bekämpfung der judenfeindlichen Ressentiments hat versagt. Es gibt keine Normalität in der Beziehung zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den Juden in Deutschland.“
Seit Jahren schon arbeitet die Jüdische Gemeinde deshalb daran, ein Forum aufzubauen, in dem möglichst viele verschiedene gesellschaftliche Akteure sich gemeinsam für das jüdische Leben in der Stadt engagieren. Das wurde am 20. November 2019, unter dem Eindruck des Anschlags auf die Synagoge in Halle, Wirklichkeit.
„Jüdisches Leben soll sichtbarer im Alltag werden“
Die Bremische Bürgerschaft beschloss an diesem Tag, aus dem bislang lockeren Zusammenschluss eine Institution zu machen. Senatoren und Abgeordnete, Vertreter der evangelischen und katholischen Kirchen sowie der muslimischen Religionsgemeinschaft sitzen ebenso mit am Tisch wie die Landeszentrale für politische Bildung, die Deutsch-Israelische Gesellschaft und Unternehmensverbände, insgesamt derzeit 35 Personen, die sich in verschiedene Arbeitsgruppen aufgeteilt haben.
„Das Ziel aller Arbeitsgruppen: Jüdisches Leben soll sichtbarer im Alltag gemacht werden“, sagt Dorothee Krumpipe, Sprecherin des Bürgerschaftspräsidenten Frank Imhoff, der neben Bürgermeister Andreas Bovenschulte Schirmherr des nun institutionalisierten Forums ist.
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Diese Betonung ist Grigori Pantijelew wichtig: „Unsere Vision ist weniger der Kampf gegen etwas, sondern für etwas. In unserem Fall für das jüdische Leben. Das Forum soll ein Versuch sein, die engagierten Menschen zusammenzubringen, dort, wo sie aktive gesellschaftliche Position und Ausstrahlung haben, damit sie von uns direkt erfahren, was das jüdische Leben vor Ort braucht.“
Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, lobt das Forum: „Das Forum ist eine Superidee, ganz toll. Ich würde auch alle Bundesländer ermuntern, so ein Forum einzurichten.“ Er hatte mehrfach für die Ernennung eines Antisemitismusbeauftragten auch in Bremen plädiert, was in der Gemeinde nicht gut ankam.
„Kampf gegen Antisemitismus keine Aufgabe der Juden“
„Ich ahne, dass in Teilen der jüdischen Gemeinde mein Werben für einen Antisemitismusbeauftragten als Druckmachen wahrgenommen werden könnte. Das würde ich bedauern.“ Er glaubt weiterhin, dass sich beides nicht ausschließt, sondern gut ergänzen könnte, gerade wenn es um Koordination geht. „Ich sage aber auch: Ein Antisemitismusbeauftragter gegen das Votum der jüdischen Gemeinde wäre nicht sinnvoll.“
„Der Kampf gegen Antisemitismus ist keine Aufgabe der Juden“, sagt Grigori Pantijelew. „Unsere Aufgabe ist der Wiederaufbau des jüdischen Lebens, das in Deutschland zerstört wurde und nun ein zartes Pflänzchen ist, das wackelig ist und noch nicht auf eigenen Füßen steht.“
Durch die unterschiedlichen Akteure im Forum wird das zentrale Anliegen in die jeweiligen Communities zurückgetragen, so die Zielsetzung. Denn jüdisches Leben ist mehr, als Opfer von Antisemitismus zu sein.
Das Problem, dass Felix Klein – wie auch seine Amtskollegen in den Ländern – stets als „Antisemitismusbeauftragter“ wahrgenommen wird und nicht auch als „Beauftragter für das jüdische Leben in Deutschland“, das ebenfalls Teil seiner Amtsbezeichnung ist, sieht auch Klein – und hofft, dass sich das spätestens ab dem nächsten Jahr ändern wird. Dann wird nämlich das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gefeiert.
Karolina Meyer-Schilf
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