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Ein Lehrer unterrichtet seine Schülerinnen und Schüler.

© Jacob Lund - stock.adobe.com

Was besonders gute Schulen ausmacht: „Gymnasium bis Sonderschule – Exzellenz ist überall möglich“

Was unterscheidet Top-Bildungseinrichtungen von anderen? Thorsten Bohl, Vorsitzender der Jury des Deutschen Schulpreises, über Qualität unter schwierigen Bedingungen.

Herr Bohl, Sie besichtigen im Moment für den Deutschen Schulpreis exzellente Schulen im ganzen Land. Ist die deutsche Bildungslandschaft am Ende besser als ihr Ruf?
Die Top 20, die wir zu sehen bekommen, sind wirklich bemerkenswert. Es ist beeindruckend zu sehen, wie Schulleitungen und Kollegien sich für ihre Schülerinnen und Schüler in schwierigen Zeiten einsetzen. Das darf aber nicht den Blick darauf verstellen, wie schwierig die Rahmenbedingungen für Schulen insgesamt geworden sind. Es ist nicht so, dass alle Schulen exzellent sein könnten, wenn sie sich nur anstrengen würden.

Woran liegt es denn, dass manche Schulen aus schwierigen Rahmenbedingungen mehr machen als andere?
Besonders gute Schulen haben ein sehr hohes Niveau vor allem bei der Gestaltung ihrer Prozesse. Die Schule ist top organisiert, bei Herausforderungen greifen die Rädchen ineinander und man geht lösungsorientiert vor. Die Schulleitungen haben einen engen Draht zu den Lehrkräften und sind offen für Innovationen.

Das heißt, das Schulrecht ist für gute Schulen manchmal ein Klotz am Bein?
Wenn eine Schulleitung einen Schulrat fragt, ob sie etwas machen darf, muss der im Zweifel erst mal Nein sagen. Er hat auch gar keine andere Wahl. Davon müssen sich Schulleitungen ein Stück weit frei machen.

Was gehört noch dazu?
An sehr guten Schulen gelten Eltern nicht als Ballast, den man irgendwie kleinhalten muss, sondern es wird tatsächlich inhaltlich mit den Eltern gearbeitet. Wenn Schulen Eltern schätzen, dann können sie auch in schwierigen Zeiten mehr auf sie bauen. Gerade zu Corona-Zeiten war zu erleben, wie erheblich das die Gesamtsituation an einer Schule verbessern kann. Und gute Schulen gehen mit der Gesetzeslage souverän um, so will ich es mal formulieren. Sie fragen nicht permanent nach der Rechtslage, sondern finden Lösungen.

Wo können Schulen ansetzen, wenn sie von den Besten lernen wollen?
Zuallererst bei der Gestaltung der Prozesse und der Rolle der Schulleitung. Im ganz klassischen Verständnis weiß eine Schulleitung gar nicht so genau, was im Unterricht abläuft. Das ist ein großer Fehler, und da ist für die Qualität der Schulen noch einiges zu holen. Es ist wichtig für ein Kollegium, sich regelmäßig über Unterrichtsqualität zu verständigen und sich gegenseitig im Unterricht zu unterstützen und möglichst auch zu hospitieren.

Das heißt, es kommt vor allem darauf an, dass auf dem Posten der Schulleitung die richtige Person sitzt?
Eine gute Schule kann man fast nicht entwickeln, wenn die Schulleitung nicht mitmacht. Wir können heute aber auch nicht mehr so tun, als ob eine Person alleine alles lösen kann. Vor allem an größeren Schulen braucht es Schulleitungsteams, damit nicht alles an einer Person hängt, die dann wie ein Alphatierchen herumspringen und alles lösen muss. Und es gibt auch viele Themen, für die es heutzutage Spezialisten braucht, zum Beispiel die Digitalisierung.

Sie zeichnen Schulen mit ganz unterschiedlicher pädagogischer Ausrichtung aus, von der Waldorfschule bis zum altsprachlichen Gymnasium. Gibt es Ausrichtungen, bei denen leichter exzellente Schulen entstehen?
Vom Hochbegabtengymnasium bis zur Sonderschule – Exzellenz ist überall möglich. Die Frage ist immer, welche spezifische Antworten für ihre Schülerschaft eine Schule findet.

Sie sagten, die Rahmenbedingungen für Schulen seien sehr schwierig. Was sind die größten Probleme?
Der Lehrermangel ist frappierend und eine fatale Grundlage für alles, was danach kommt. Die Heterogenität in der Schülerschaft wächst, und Deutschland kämpft immer noch mit Schulsanierungen und Digitalisierung. In den kommenden Jahren wird das Thema Künstliche Intelligenz in rasendem Tempo ins Schulleben integriert werden müssen. Und das Thema Inklusion ist eine große Baustelle, die zu wenig thematisiert wird – um nur einige zu nennen.

Beliebtes Debattenthema ist die Frage der Schulstruktur. Was haben Sie dazu zu sagen?
In allen Bundesländern gibt es das Gymnasium, und der Rest ist ein ziemliches Chaos. In manchen Ländern gibt es eine weitere Schulform, in anderen vier. Diese anderen Schulformen bewältigen in ganz erheblichem Maße die Herausforderungen der Inklusion und Integration. Es ist ein deutscher Reflex, geflüchtete Kinder in die Hauptschule integrieren zu wollen, auch wenn manche, die mit guten Bildungsvoraussetzungen ankommen, dort völlig falsch aufgehoben sind. Die Gymnasien könnten hier mehr in die Pflicht genommen werden. Ich halte es für eine realistische Zukunftsperspektive, dass es Gymnasien gibt und alles Weitere zu einer zweiten Schulform zusammengefasst wird – egal, wie die dann heißt. Und diese zweite Schulform und die Gymnasien müssten viel enger als heute miteinander kooperieren.

Es ist ein deutscher Reflex, geflüchtete Kinder in die Hauptschule integrieren zu wollen.

 Thorsten Bohl, Bildungsforscher

Ist die Bereitschaft dazu auf allen Seiten vorhanden?
Wir müssen uns endlich mal auf den Weg machen. Wir haben überhaupt keine Zeit mehr, um uns um unnötige Themen wie Standesdünkel mancher Schularten und Lehrerverbände zu kümmern. Es gibt so viele Probleme im Bildungsbereich und wir bekommen das Jahr für Jahr durch Leistungsstudien um die Ohren geschlagen. Alle vernünftigen Modelle laufen darauf hinaus, schulartenübergreifend zugunsten der Schülerinnen und Schüler zu kooperieren.

Fehlt es den Kultusministern am Willen zur Zusammenarbeit und zur Innovation?
Es ist nicht so, dass sich da nichts bewegt. Aber wenn man das vergleicht mit der Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung, dann passiert noch deutlich zu wenig. Wir können uns in Deutschland noch 50 Jahre über die Zuständigkeiten von Bund und Ländern im Bildungsbereich streiten. Aber das hilft niemandem. Das klare Signal muss in Richtung einer Integration der Schularten gehen. Es braucht einen Konsens, der über Parteien und Legislaturperioden hinweg gilt. Stattdessen werfen die Parteien ständig dreijährige Programme auf den Markt, damit sie vor der nächsten Wahl etwas vorzuweisen haben. Und manche Kultusministerinnen und -minister brauchen auch etwas mehr Robustheit, um gegen die Einzelinteressen mancher Verbände zu bestehen.

Heftig umstritten sind auch die Arbeitszeitmodelle für Lehrkräfte.
An das Thema hätte man vor zehn oder zwanzig Jahren herangehen müssen. Immer noch wird die Arbeitsbelastung rein nach Unterrichtsstunden berechnet, dabei sind enorm viele Aufgaben hinzugekommen. So gesehen ist das System tatsächlich nicht mehr fair. Das macht nun angesichts des dramatischen Lehrkräftemangels doppelte Probleme.

Was kann gegen den Mangel getan werden?
Wir brauchen dringend einheitliche Standards für den Quereinstieg. Mittlerweile wird fast jeder genommen, aber es braucht zumindest einen Basisstandard und eine vernünftige Qualifizierung. Im Krankenhaus würde man ja auch niemanden operieren lassen, der ganz neu und ohne Ausbildung dabei ist.

Sie haben schon viele Schulen von innen gesehen. Gibt es da noch manchmal gute Ideen, die Sie so richtig überraschen?
Es ist wirklich faszinierend, was Schulen alles auf die Beine stellen. Ich lerne bei jedem Besuch vor Ort viel Neues.

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