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Politik: Wenn alle Welt grüne Themen besetzt, was bleibt für die Grünen? Renate Künast und Wolfgang Wieland machen sich Gedanken um das Parteiprofil

Renate Künast und Wolfgang Wieland sind Vorsitzende der Fraktion von Bündnis90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus. Die Juristin Künast bewirbt sich um den Sprecherposten der Bundespartei.

Renate Künast und Wolfgang Wieland sind Vorsitzende der Fraktion von Bündnis90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus. Die Juristin Künast bewirbt sich um den Sprecherposten der Bundespartei. Künast und Wieland gehören zu den Gründern der früheren Alternativen Liste. Beide sind langjährige Parlamentarier und standen bereits mehrfach ihren Fraktionen vor.

Was erwarten die Berliner Grünen von der neuen Bundesspitze?

Wieland: Wir brauchen eine selbstbewusstere, stärkere Parteiführung, die unsere grünen Themen in den Vordergrund stellt, schnell reagiert auf gesellschaftliche Debatten und eine Vorreiterrolle übernimmt. Eine Führung, die sich nicht überraschen lässt von einem Kanzler Schröder mit seiner Green-Card. Das ist doch ein ur-grünes Thema: Das Verhältnis zwischen Einwanderern und denen, die hier schon immer leben. Der neue Parteivorstand braucht Personal und Geld. Ohne Apparat geht es nicht. Der Landesverband sagt auch: Renate Künast ist ein attraktives Personalangebot. Da sind wir uns, trotz des Streits um die Trennung von Amt und Mandat, in Berlin völlig einig.

Was helfen Strukturreformen und ein effektiver Parteiapparat, wenn es nicht gelingt, politische Felder zu besetzen?

Wieland: Es hilft schon. Wenn Jürgen Trittin beklagt, dass ihm zur Ausarbeitung eines Vorschlages für das Wahlprogramm keine Referenten zur Verfügung standen, hat er Recht. Wir wollen keinen Wasserkopf heranzüchten, aber die Bundeszentrale ist im Vergleich zu den Landesverbänden schlecht ausgestattet. Darunter leidet vieles, auch der Aufbau der Partei in den neuen Bundesländern. Das ersetzt keine innovative Politik, aber ohne vernünftige Rahmenbedingungen ist eine solche Politik nicht machbar.

Michaele Schreyer ist EU-Kommissarin in Brüssel, Andrea Fischer Bundesministerin, Renate Künast vielleicht demnächst Parteisprecherin. Beanspruchen die Berliner Grünen eine "hauptstädtische" Rolle?

Wieland: Für den Berliner Landesverband bedeuten der Weggang von Michaele Schreyer und die Ambitionen von Renate Künast auch ein Ende der Selbstgenügsamkeit. Die Berliner Grünen neigen zur Kiezbezogenheit, aber jetzt ereilen uns der europäische Wind und die neue Rolle der Hauptstadt Berlin. Da wäre es nicht schlecht, wenn einer der beiden Parteisprecher aus der Stadt käme, von der aus der Bund regiert wird.

Künast: Natürlich spielt der Berliner Landesverband inzwischen eine gewichtigere Rolle. Dazu hat der Parlaments- und Regierungsumzug beigetragen, wir sind näher dran am Geschehen. Die Kommunikation klappt besser. Zur Arbeit des Bundesvorstands möchte ich nur sagen: Es kann nicht sein, dass die Parteiführung der Regierungsarbeit hinterher hechelt, teilweise schlecht informiert ist und darauf verzichtet, für die Partei Flagge zu zeigen. Die Themen liegen doch auf der Straße. Einwanderung, Ausbildung, Mängel in den wirtschaftlichen und politischen Strukturen, wie entwickelt sich Politik auf europäischer Ebene weiter? Das wird im Moment überhaupt nicht debattiert. Auch bei der Bewältigung der Parteispendenaffäre waren die Grünen nicht die Speerspitze der Bewegung. Weniger Parteienstaat, mehr direkte Demokratie. Das sind doch unsere Themen. Wo waren wir da?

Und um dies alles sollen sich künftig Vorstandssprecher kümmern, die gleichzeitig Landtags-Fraktionen führen?

Künast: Ich bringe genügend professionelles Verhalten mit. Zu überlegen und zu planen, was sind die Themen, was wollen wir voranbringen. Und dies auch zu bearbeiten.

Also, die bisherigen Parteisprecherinnen sind unprofessionell?

Künast: Ich biete mich, meine Erfahrung und meine Professionalität an. Mehr habe ich nicht gesagt.

Wieland: Es ist der Versuch, Parteiamt und Parlamentsmandat unter einen Hut zu bekommen. Ob es leistbar ist, wird man sehen.

Nach der Abgeordnetenhauswahl haben die Berliner Grünen noch nicht Tritt gefasst. Von einer Vorreiterrolle, auch gegenüber dem Bundesverband, ist wenig zu spüren.

Künast: Unsere Abgeordnetenhausfraktion muss ihren Weg sicher noch finden. Nach der dritten Auflage der Großen Koalition ist es nicht einfach, mit Elan loszulegen. Aber wir sind an den entscheidenden Themen dran: Ich nenne nur die Schul- und Haushaltspolitik. Die Schulsituation machen wir zum Thema der nächsten Plenarsitzung, verbunden mit konkreten Anträgen.

Wieland: Ich sehe das auch nicht so negativ. Für unser schlechtes Abschneiden bei der Berliner Wahl war die schlechte Performance der Bundesregierung mit entscheidend. Heute sähe es deutlich besser für uns aus. Aber auch eigene Fehler haben wir nach der Wahl analysiert. Wir müssen unsere "Classics" verteidigen: Ökologie, Verkehr usw. Also nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Wir stürzen uns nicht auf die neue Mitte. Wir können uns durch die Entwicklung bestätigt fühlen: Die Welt steuert auf eine Klimakatastrophe zu, das Umweltthema ist nicht erledigt, sondern drängt sich wieder dramatisch in den Vordergrund. Um in der Sprache der Zehnkämpfer zu reden: Wir wollen unsere Stärken pflegen und an unseren Schwächen arbeiten. Zulegen müssen wir in der Jugend- und Ausbildungspolitik, in der Diskussion um eine sichere Zukunft. Grüne Metropolenpolitik im neuen Jahrtausend, was bedeutet das? Da beginnt der grüne Landesverband einen Diskussionsprozess zu organisieren und will bis zum Sommer erste Ergebnisse vorlegen.

Die PDS ist stärker, sachkundiger, normaler geworden. Laufen die Grünen Gefahr, die Rolle als die Oppositionspartei zu verlieren?

Künast: Es hat sich schon einiges verändert in der Berliner Politik. Der CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky hat die PDS früher als Wurzel allen Übels gebrandmarkt. Jetzt fährt er eine andere Strategie, öffnet die Union, zum Ärger der eigenen Leute. Sicher nicht als Ergebnis eines Läuterungsprozesses, sondern um im Osten stärker Fuß zu fassen und bei der PDS Wechselwähler abzugreifen. Landowsky hat erkannt, dass die PDS und deren Wähler in großen Teilen ebenso konservativ sind wie die CDU. Für uns war die PDS immer ein janusköpfiges Gebilde: einerseits konservativ strukturiert, andererseits parlamentarischer Konkurrent der Grünen. Die PDS-Fraktion ist größer geworden, der Druck auf uns erhöht sich. Gar keine Frage.

Müssen sich die Grünen stärker als bisher absetzen von der anderen Oppositionspartei PDS?

Wieland: Es gibt in der Opposition keine Koalition. Wir wollen unterscheidbar bleiben, wir müssen unser grünes Profil schärfen. Es bleibt bei dem Kurs, den wir nach der Landtagswahl erklärt haben: Distanz und Zusammenarbeit mit allen Parteien. Was gegenüber der - von der Spendenaffäre geschüttelten - CDU momentan nicht realisierbar ist. Dieser Bimbes-CDU kann man sich nicht guten Gewissens annähern. Dennoch sagen wir: Nach Diepgen und Landowsky kommen andere, auf die zutrifft, was Landowsky gerne sagt. Leute, die keine Landsergeschichten mehr hören wollen. Obwohl es doch gerade Landowsky war, der diese Landsergeschichten nur zu gern erzählte. Er war doch der Konsalik des Abgeordnetenhauses und wird immer wieder rückfällig.

Wie auch immer sich das Verhältnis zwischen den Grünen und den anderen Parteien gestalten mag. Haben die Grünen den Osten Berlins, den Osten Deutschlands bereits aufgegeben? Droht das Schicksal der FDP, die in den neuen Ländern gegen Null tendiert?

Künast: Nein, nein. Den Osten haben wir nicht aufgegeben. Weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Auf Landesebene müssen wir dort, wo wir noch in den BVVs vertreten sind, unsere Leute unterstützen und einbinden. Ansonsten aber müssen wir anknüpfen an unsere Schwerpunkte, um uns im Osten wieder aufzubauen. Es macht überhaupt keinen Sinn, in die Fläche zu gehen und hin und wieder mal einen Grünen vorbeizuschicken.

Hohenschönhausen gehört schon zur Fläche?

Künast: Quatsch. Ost-Berlin ist auch nicht identisch mit den Problemlagen in den neuen Bundesländern. In einigen Bezirken in Ost-Berlin haben wir unsere spezifische Klientel. Aber nehmen wir die Plattenbausiedlungen. Es macht für uns Grüne mit unseren Ressourcen wenig Sinn, an Orte zu gehen, an denen wir heute kaum vertreten sind. Da laufen wir uns einen Wolf, ohne dass dabei etwas heraus kommt. Das heißt, wir müssen uns in Berlin auf bestimmte Bezirke konzentrieren, und in den neuen Bundesländern auf bestimmte Städte wie Potsdam, Cottbus oder Dresden, Greifswald oder Rostock. Das Milieu, in dem wir Grünen Sympathisanten haben, das gibt es in den neuen Bundesländern sonst nicht. Also muss man sich auch nicht vormachen, wir könnten dort das Gleiche erreichen, was wir im Westen erreichen können.

War es deshalb ein Fehler, mit den wenigen Bündnis-90-Leuten sehr stiefmütterlich umgegangen zu sein? Die meisten flüchteten, nur wenige blieben bei den Grünen.

Wieland: Ja, es war ein Fehler, weil wir den Anspruch des gleichberechtigten Umgangs nicht eingelöst haben. Ob wir dann erfolgreicher gewesen wären, ist eine ganz andere Frage. Man muss die Marginalisierung der Bürgerrechtler aus der DDR doch insgesamt sehen, auch in den anderen Parteien und in anderen Funktionen. Es gibt Alibi-Ostler, gleichberechtigte Teilhabe am politischen Betrieb aber immer noch nicht. Dazu tragen Westblick, Ungeduld, zum Teil auch Egoismus bei. Wenn wir drei Bundestagsplätze in Berlin mit drei Wessis besetzen, ist das schlecht und nicht zu entschuldigen. Aber es ist geschehen.

Künast: Ich sehe noch einen Fehler. Wir hatten in der Partei zwischen Ost und West einen Nicht-Einmischungspakt. Damit haben wir uns keinen Gefallen getan. Man hätte im Osten viel mehr herausragende Köpfe haben müssen, die für andere Themen stehen. Arbeitsmarktpolitik beispielsweise - eine der Existenzfragen im Osten. Umgekehrt haben wir im Westen nicht dafür gesorgt, dass einzelne Leute aus dem Osten inhaltliche Themen besetzt haben, die Themen der Gesamt-Republik waren.

Wieland: Wir hatten zwei Abteilungen, die auch gut gearbeitet haben. Das eine war die Bürgerbewegung - Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit - und die Abteilung originäre Ost-Grüne. Aber die Antworten auf die soziale Katastrophe im Osten, die hatten wir nicht, weil unsere Ursprungsquellen in diese Richtung nicht gingen. Da entstand ein Vakuum. Und wir hatten keine Bundesführung, die sich dagegen stemmen konnte.

Schreyer, Fischer und eventuell Künast gehen - neues Führungspersonal ist nicht in Sicht, nur die alten, die seit 15 Jahren dabei sind.

Wieland: Nein, deutlicher Widerspruch. Wenn man das Durchschnittsalter unserer Fraktion und des Fraktionsvorstands ausrechnet, stimmt der Vorwurf nicht. Wir haben im Vorstand junge Leute, die in der ersten oder zweiten Wahlperiode dabei sind. Es wird sich ein harmonischer Wechsel ergeben. Spätestens in der nächsten Wahlperiode wird die Gründergeneration nicht mehr oder nur noch rudimentär vertreten sein.

Das Gespräch führten Gerd Nowakowski und Ulrich Zawatka-Gerlach.

Was erwarten die Berliner Grünen von der neue

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