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Politik: Wer nicht dafür ist, ist dagegen

Polen in der Krise: Demonstrationen in Warschau spiegeln die politische Spaltung des Landes

In dieser Woche soll Polens Parlament mehr Klarheit in das Warschauer Wirrwarr bringen. Doch eine Lösung der Regierungskrise ist nicht in Sicht. Der nationalkonservativen PiS ist es bisher nicht gelungen, eine neue Mehrheit zu finden. Die Opposition will Neuwahlen – doch dazu braucht sie die Unterstützung der PiS.

„Wir werden siegen – dieses Mal bis zum Ende“, rief Premier Jaroslaw Kaczynski den 8000 aus ganz Polen herbeigekarrten Anhängern seiner Partei vor dem Warschauer Kulturpalast zu: „Dies ist die Regierung, die Polen braucht.“ Nur wenige hundert Meter entfernt hatten die oppositionellen Rechtsliberalen (PO) einige tausend Anhänger mehr mobilisiert. Die PiS-Regierung sei nach dem Scheitern der Koalition mit den Populisten am Ende, sagte PO-Chef Donald Tusk über seine Forderung nach Neuwahlen: „Wir sind gekommen, um laut zu sagen, was Polen fühlt: Es reicht !“

Mehr als 20 000 Menschen demonstrierten am Wochenende in Warschau auf neun Kundgebungen für oder gegen die Regierung. Die meisten Hauptstadtbewohner ließ das Schaulaufen und die bekannten Wahlkampfparolen zwar eher kalt. Doch deren außerparlamentarisches Muskelspiel spiegelt nicht nur die politische Spaltung des Landes, sondern auch das derzeitige Kräfteverhältnis wider. Mit der PiS und der PO bestimmen derzeit zwei Parteien der Rechten das Geschehen, die sich beide auf das Erbe der Gewerkschaft Solidarnosc berufen, sich lange als Partner bezeichneten – und sich nun unversöhnlich gegenüberstehen.

Die auf patriotisches Pathos und unzufriedene Wendeverlierer setzende PiS kann auf die Unterstützung EU-skeptischer Populisten wie der rechtsklerikalen LPR zählen. Die wertkonservative, aber wirtschaftsliberale PO hat mit der deutlicheren Abgrenzung zur PiS und einer klaren proeuropäischen Ausrichtung ihr Wählerpotenzial in den Städten und bei Jungwählern verstärkt. Von ihrer verheerenden Wahlschlappe vor Jahresfrist hat sich Polens Linke hingegen noch nicht berappeln können. Nachhaltig hatte die sozialdemokratische SLD mit endlosen Skandalen auf der Regierungsbank das Vertrauen ihrer Wähler enttäuscht und spielt auf dem Warschauer Politparkett derzeit nur eine Nebenrolle. Die Rolle des Züngleins an der Waage hat dafür die Bauernprotestpartei Samoobrona übernommen: Ohne ihren Segen lässt sich im derzeitigen Sejm kaum regieren.

Seit Premier Kaczynski vor zwei Wochen dem nicht minder machtbewussten Samoobrona-Chef Andrzej Lepper den Koalitions-Laufpass gab, ist die PiS auf der hektischen Suche nach einer Mehrheit. Am liebsten würde die PiS nun mit der LPR, parteilosen Überläufern und der traditionellen Bauernpartei PSL ins Regierungsboot steigen, doch scheinen ihr dafür ein paar Stimmen zu fehlen. Samoobrona-Chef Lepper hat unterdessen eine Neubelebung der gerade erst geplatzten Koalition ins Spiel gebracht. Einem neuerlichen Bündnis mit dem unberechenbaren Lepper scheint die PiS aber nun doch eher ablehnend gegenüberzustehen. Doch selbst wenn die PiS keine Mehrheit hinter sich scharen sollte, sind rasche Neuwahlen nicht garantiert. Die PO will zwar einen Antrag zur Auflösung des Sejm einbringen. Doch für dessen Annahme sind 300 der 460 Stimmen – und damit auch die Unterstützung der PiS – nötig. Angesichts fallender Umfragewerte scheint Premier Kaczynski indes eher auf Weiterwursteln denn auf Neuwahlen zu setzen. Doch selbst die Rückendeckung seines Bruders Lech im Präsidentenpalast kann an dem Dilemma des Premiers nichts ändern. Zum Abtritt fühlt er sich zu stark: Doch für eine stabile Regierung ist seine Machtbasis einfach zu schwach.

Thomas Roser[Warschau]

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