
© Katharina Eglau
Parlametnswahl: Wie ist die Lage im Irak?
Heute wird ein neues Parlament gewählt. Zum zweiten Mal seit Saddam Husseins Sturz. Jung ist die Demokratie, instabil. Aber das Interesse an der Wahl ist groß. Wie ist die Situation?
WELCHE BEDEUTUNG HAT DIE WAHL?
Dieser 7. März ist für das irakische Volk nach sieben Jahren amerikanischer Besatzung die wohl wichtigste Hürde auf dem Weg in eine volle Unabhängigkeit. Bis spätestens Ende 2011 müssen alle US- Truppen abziehen, dann ist Bagdad für die innere Sicherheit allein verantwortlich. Auf die neue Regierung warten Herkulesaufgaben. In der Hauptstadt gibt es nach wie vor am Tag nur fünf bis sieben Stunden Strom. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, fast jeder hat eine Waffe. Straßen, Schulen, Wasserversorgung – fast die gesamte Infrastruktur befindet sich in einem kläglichen Zustand.
WIE STABIL IST DIE DEMOKRATIE IM IRAK?
Die Demokratie im Irak ist so stabil wie das Land selbst – und hier sind die Fragezeichen unverändert groß. Die politischen Spannungen zwischen den religiösen und ethnischen Gruppen sind ungelöst. Alte Kader der Baath-Partei träumen von der Rückkehr an die Macht durch einen Militärputsch. Selbstmordattentäter gelang es im vergangenen halben Jahr, vier Ministerien zu zerstören, den Provinzrat von Bagdad und das zentrale Kriminallabor des Landes. Mit systematischem Terror soll dem Staat sein Rückgrat gebrochen werden, bevor er richtig auf die Beine gekommen ist. Der Irak ist eine sehr junge Demokratie, die Parteienlandschaft noch wenig gefestigt. Dennoch ist das politische Interesse sehr groß. 6172 Kandidaten, darunter 1803 Frauen, bewerben sich um die 325 Sitze in der Volksvertretung. 308 Parteien und Gruppierungen haben sich bei der Hohen Wahlkommission registrieren lassen. 600 internationale Wahlbeobachter sind vor Ort, um sich in den 10 000 Wahllokalen ein Bild von dem Verlauf der Abstimmung zu machen. Zusätzlich haben die Parteien zehntausende eigene Beobachter ernannt. Den Auftakt an den Wahlurnen machten am Donnerstag bereits rund 800 000 wahlberechtigte Soldaten und Polizisten, Kranke und Krankenhauspersonal sowie Gefängnisinsassen. Von Freitag bis Sonntag folgten 1,4 Millionen Auslandsiraker in 16 Staaten. An diesem Sonntag wählt das übrige irakische Volk.
WIE SICHER SIND DIE WAHLEN?
Offiziell liegt die Sicherung der Wahlen in irakischer Hand, im Hintergrund unterstützt die US-Armee mit beispiellosem Aufwand. Von der Militärbasis „Constitution“ aus wird der gesamte Himmel über Bagdad überwacht. Seit Anfang vergangener Woche funktioniert die gemeinsame Hightech-Kommandozentrale von amerikanischer und irakischer Armee. In dem nagelneuen fensterlosen Lagerraum sitzen ein Dutzend Offiziere beider Länder hinter ihren Computern. An der Längsseite hängt ein riesiges Luftbild der irakischen Metropole. Die Monitore vorne zeigen detailgenaue Überwachungsbilder von einem Zeppelin und mehreren Drohnen, die Tag und Nacht über der Stadt kreisen. Geht die Meldung von einem Anschlag ein, erscheint Minuten später der Tatort per Hochleistungskamera auf der Leinwand, der auf der Bagdadkarte mit einem roten Pappstern lokalisiert wird. Dann wird Alarm ausgelöst. Am Wahltag selbst dürfen sich amerikanische Soldaten den Wahllokalen nur auf 300 Meter nähern, es sei denn, sie werden ausdrücklich von irakischer Seite zu Hilfe gerufen.
WAS SIND DIE WICHTIGSTEN KANDIDATEN UND PARTEIEN UND WER HAT DIE BESTEN CHANCEN?
„Ich bin sicher, dass ich die Wahl mit großem Abstand gewinnen werde“, gab sich der bisherige Regierungschef Nuri al Maliki diese Woche in einem Interview sicher. Zur absoluten Mehrheit aber werde es wohl nicht reichen, räumte er ein. Der 60-jährige gläubige Schiit hat mit den religiös-schiitischen Parteien gebrochen und präsentiert sich nun als dezidiert nationaler Staatsmann. Seinem Parteienbündnis „Rechtsstaat“ gehören 40 Gruppierungen an. Schärfster Konkurrent um die Macht ist Iyad Alawi, ein säkularer Schiit, der von 2004 bis 2005 Chef der irakischen Übergangsregierung war. Seine „Irakische Nationalbewegung“ versteht sich als überkonfessionelles Bündnis und schließt zahlreiche sunnitische Persönlichkeiten ein. Bei der Regierungsbildung mitmischen könnten aber auch die schiitisch-religiösen Parteien der „Irakischen Nationalallianz“.
WIE FAIR WIRD DIE ABSTIMMUNG SEIN?
Der Wahltag wird überschattet von der Entscheidung eines obskuren Komitees zur Entbaathifizierung, knapp 500 sunnitische und schiitische Kandidaten von den Wahlzetteln zu streichen. An der Spitze dieser „Kommission für Rechenschaft und Gerechtigkeit“ stehen mit Ahmad Chalabi und Ali al Lami zwei Politiker, die enge Verbindungen zum Iran haben. Chalabi tritt selbst als Kandidat an in dem Bündnis der religiös-schiitischen Parteien, die als einzige von den Säuberungen nicht betroffen sind. Im Februar flog der amerikanische Vizepräsident Jo Biden eigens nach Bagdad, um die Krise zu entschärfen – vergebens. Premierminister Nuri al Maliki unterstützte ausdrücklich das Vorgehen des umstrittenen Gremiums, weil es ihm wichtige politische Konkurrenten aus dem Weg räumte. Stimmenkauf ist weit verbreitet, vor allem auf dem Land, wo die Bevölkerung bitterarm ist. Eine Partei importierte große Mengen billiger Sportschuhe aus China.
WAS HAT SICH SEIT DER ERSTEN WAHL 2005 VERÄNDERT?
Ursprünglich sollte die Wahl Mitte Januar stattfinden, musste jedoch auf den 7. März verschoben werden, weil sich das irakische Parlament erst nach wochenlangem Tauziehen auf ein neues Wahlgesetz einigen konnte. Es enthält eine grundlegende Reform des Wahlsystems, die der weit verbreiteten Frustration im Volk gegenüber den Abgeordneten Rechnung trägt. Vor vier Jahren konnten die Wähler lediglich komplette Parteilisten ankreuzen, auf denen keine Politikernamen verzeichnet waren. Das neue Gesetz schafft mehr Bürgernähe, weil es die Möglichkeit von Direktmandaten eröffnet. Schon bei den Regionalwahlen im März 2009, als dieses „offene System“ zum ersten Mal angewandt wurde, gelangten zahlreiche Abgeordnete ohne sichere Listenplätze in die Parlamente. 2005 boykottierten viele sunnitische Gruppen die Wahl. In der Provinz Anbar gaben damals zum Beispiel nur 3500 der 900 000 Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Dieser Teil der Bevölkerung fühlte sich politisch diskriminiert und im Parlament nicht repräsentiert, was die bürgerkriegsähnlichen Zustände 2006 mit auslöste. Auch diesmal gab es vereinzelte Boykottaufrufe. Doch selbst sunnitische Spitzenpolitiker, die durch die Entbaathifizierungskommission disqualifiziert worden waren, riefen ihre Landsleute auf, „in großer Zahl zur Wahl zu gehen“.