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Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Dienstag bei einer Sitzung des Lenkungsausschusses der deutschen Islamkonferenz in Berlin.

© Stefanie Loos/Reuters

Flüchtlinge aus Syrien: Wie Thomas de Maizière heimlich das Dublin-Verfahren wieder einführte

Thomas de Maizières heimliche Härte: Seit Ende Oktober gilt auch für syrische Flüchtlinge wieder das Dublin-Verfahren – nur wusste das in der Koalition bisher keiner.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Robert Birnbaum

Chaostage in der Flüchtlingskrise, Teil Zwei: Wenige Tage, nachdem eine Entscheidung von Bundesinnenminister Thomas de Mazière (CDU) für Verwirrung und Streit in der großen Koalition gesorgt hatte, wartete sein Haus am Dienstag mit einer neuen Überraschung auf. Ein Sprecher de Maizières teilte der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mit, dass Deutschland das Dublin-Verfahren für Flüchtlinge wieder anwendet - und zwar schon seit dem 21. Oktober.

Die SPD reagierte irritiert auf diese Mitteilung. Dies sei im Vorfeld nicht in der Regierung besprochen worden, hieß es in der SPD-Spitze. Die Union wolle damit offenbar ein „Ordnungssignal“ setzen. Aber auch in der Union löste die Information große Überraschung aus. Selbst ausgewiesene Innenpolitiker, die wie die SPD-Kollegen während ihrer Fraktionssitzung von der Meldung erfuhren, waren nicht im Bilde.

Das Dublin-Verfahren war Ende August ausgesetzt worden, um der Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) unnötige Arbeit bei der Prüfung von hunderttausenden Flüchtlingen zu ersparen. Es sieht vor, dass Asylbewerber und Flüchtlinge von Deutschland in den EU-Staat zurück geschickt werden können, in dem sie zum ersten Mal EU-Boden betreten haben. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Flüchtlinge in diesem EU-Land auch registriert worden sind. Mit dem Anschwellen des Flüchtlingsstromes im Spätsommer wurden allerdings die weitaus meisten Flüchtlinge entlang der Hauptstrecke durch den Balkan gar nicht mehr registriert.

Die Anweisung an das Bamf vom 21. Oktober sei vom Bundesinnenministerium erteilt worden, sagte ein Sprecher. Damit könnten seit diesem Tag rein rechtlich auch Flüchtlinge aus Syrien wieder in andere EU-Länder zurück geschickt werden. Praktisch allerdings ist die Anweisung selbst nach Auskunft des Innenministeriums ohne weitreichende Folgen. So verwies der Sprecher de Maizières darauf, dass eine Rücküberweisung nach Griechenland nicht in Frage kommt – das Land gilt als völlig überlastet, und Gerichte haben verboten, Asylbewerber dorthin zurückzuschicken.

Peter Altmaier muss sich Protestrufe und Gelächter anhören

Zudem seien die Bamf-Mitarbeiter angewiesen worden, auch zu prüfen, ob die Rücküberstellung eines Flüchtlings überhaupt möglich ist, erklärte der Sprecher. Die Anwendung des Dublin-Verfahrens ist zeitaufwendig und kompliziert. Das Bamf muss in jedem Einzelfall beweisen, dass ein Flüchtling, der in Deutschland einen Asylantrag stellen will, sein Verfahren eigentlich in einem anderen EU-Land anmelden müsste. Um das nachzuweisen, muss er dazu in der Regel bereits registriert gewesen sein. Deutschland muss dann dieses EU-Land um Rücknahme bitten. Für das gesamte Verfahren ist aber höchstens ein halbes Jahr Zeit. Verstreicht diese Frist, dann muss Deutschland das Asylverfahren selbst durchführen.

Laut Auskunft des Bundesinnenministeriums gelang die Anwendung des Dublin-Verfahrens im Laufe des Jahres 2015 nur bei einer geringen dreistelligen Zahl von Flüchtlingen. Unklar ist, wieso es erst einer Agenturanfrage bedurfte, den Vorgang öffentlich zu machen. Denn genau diese Forderung stand Anfang Oktober auf dem Höhepunkt des unionsinternen Machtkampfs zwischen Berlin und München weit oben auf dem Forderungkatalog der CSU. CSU-Chef Horst Seehofer stützte darauf sogar seine Drohung, den Bund vor dem Bundesverfassungsgericht zu verklagen: „Wenn Schengen und Dublin nicht umgehend eingehalten werden, muss Deutschland Flüchtlinge unmittelbar an der Grenze zurückweisen“, verlangte der CSU-Chef noch am 9. Oktober.

In der Sitzung der Unionsfraktion ergriff de Maizière selbst das Wort, als die dpa-Meldung bekannt geworden war. Nach Auskunft von Teilnehmern bestätigte er den Vorgang und erläuterte anschließend noch einmal seine Entscheidung aus der letzten Woche, bei Syrern wieder genauer zwischen Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention und lediglich geduldeten subsidiär Schutzwürdigen zu unterscheiden. Er erhielt für seine Ausführungen nach Angaben mehrerer Teilnehmer sehr starken Beifall, obwohl seine Rede „eher schwach“ gewesen sei, wie ein Zuhörer anmerkte.

„Das war ein Statement der Fraktion“, sagte ein anderer. Der Innenminister gilt unter den Kritikern von Angela Merkels Willkommenskurs inzwischen als einer der Garanten eines Begrenzungskurses innerhalb der Regierung. Der zweite, Finanzminister Wolfgang Schäuble, ergriff nicht das Wort. Merkel selbst ging in einer kurzen Wortmeldung nicht auf den Streit ein und bat um Geduld: „Wir arbeiten am Problem.“ Sie habe de Maizières Dublin-Entscheidung aber ausdrücklich gutgeheißen, berichten Zuhörer.

Insgesamt debattierte die Unionsfraktion erneut fast drei Stunden über die Flüchtlingspolitik – erregt und, so empfand es ein Teilnehmer, zum Teil auch aggressiv. Gleichwohl wurde jeder Redebeitrag mit Applaus bedacht. Kanzleramtschef Peter Altmaier, der de Maizière letzte Woche zurückgepfiffen hatte, warb um Geschlossenheit und ein Ende der Diskussionen. „Wir sollten den Versuch machen zu zeigen, dass wir regieren können“, zitierten ihn Teilnehmer. Merkels Flüchtlingskoordinator musste sich ebenso Protestrufe und Gelächter anhören wie andere Abgeordnete, die die Flüchtlingspolitik der Regierung verteidigten.

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