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Wiederaufbau nach Waffenruhe : Merz bekräftigt in Ägypten deutsche Hilfszusage für Gaza
Bei der Friedensvereinbarung für den Gazastreifen hat Deutschland nur eine Nebenrolle gespielt. Beim teuren Wiederaufbau reklamiert Kanzler Friedrich Merz für Deutschland eine Hauptrolle.
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Für Friedrich Merz ist es nur eine kurze Stippvisite, aber eine symbolträchtige. Auf Einladung des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi reiste der Bundeskanzler am Montag in den Badeort Scharm El-Scheich auf der Sinai-Halbinsel, wo das vom Gastgeberland, Katar, der Türkei und den USA vermittelte Friedensabkommen zwischen Israel und der Hamas unterzeichnet wurde.
Der Freude über die Freilassung der verbliebenen deutsch-israelischen Geiseln Ausdruck zu verleihen, war das Eine. Die Anwesenheit des Regierungschefs sollte aber auch unterstreichen, dass Deutschland sich in Nahost stärker einbringen will. Trotz des diplomatischen Einsatzes von Merz und seines Außenministers Johann Wadephul spielte die Bundesregierung beim Zustandekommen des Deals nur Nebenrolle. Nun, nach der Waffenruhe, will man mehr tun – in einem ersten Schritt wurde die humanitäre Nothilfe um 29 Millionen Euro aufgestockt.
1 Keine Bundeswehrsoldaten zur Friedenssicherung
In der Vorgängerregierung klang das noch anders: Als vor einem Jahr Szenarien einer Gaza-Waffenruhe diskutiert wurden, schloss Außenministerin Annalena Baerbock die Beteiligung der Bundeswehr an einer Friedenssicherungsmission nicht aus. Es brauche, so die Grüne, „internationale Sicherheitsgarantien, dass von Gaza nie wieder Terror gegen Israel ausgeht. Und dass die Palästinenser sicher in einem eigenen Staat leben können“. Die könne auch Deutschland bieten, „als einer der engsten Freunde, denen Israel absolut vertrauen kann“.
Solchen Überlegungen haben Merz und seine schwarz-rote Koalition nun sehr schnell eine deutliche Absage erteilt. „Für Deutschland stellt sich die Frage einer militärischen Beteiligung nicht“, hat der Kanzler direkt nach Bekanntwerden der Einigung am vergangenen Freitag mitgeteilt. Auf UN-Ebene will man freilich mithelfen, „den rechtlichen Rahmen für eine solche Präsenz zu schaffen“.
Die unausgesprochene Begründung für das klare Nein zu einem Bundeswehr-Einsatz: Man will um jeden Preis vermeiden, dass deutsche Soldaten vor Ort in eine Situation geraten könnten, in der sie ihre Waffen auf Israelis richten müssen.
2 Fokus auf Koordination des Wiederaufbaus
Im Gegensatz etwa zum britischen Premier Keir Starmer, der am Montag in Scharm El-Scheich auch die Entsendung von Truppen anbot, hat Merz kein sicherheitspolitisches Angebot im Gepäck. Sein Angebot, „dabei mitzuhelfen, in der Region jetzt alle Voraussetzungen zu schaffen, damit es eine dauerhafte Friedenslösung geben kann“, konzentriert sich vor allem auf die Hilfe beim Wiederaufbau Gazas – und dessen Koordination.
So wird die Bundesregierung Co-Gastgeber einer internationalen Hilfskonferenz für Gaza in Kairo sein. Der exakte Termin steht noch nicht fest, die ägyptische Regierung hat jedoch erklärt, die Konferenz etwa vier Wochen nach Beginn des Waffenstillstands ausrichten zu wollen.
Das Treffen wird der Verteilung von Aufgaben dienen, aber auch eine Art „Geberkonferenz“ zum Einsammeln finanzieller Zusagen sein. Der Mitveranstalter dürfte dabei mit gutem Beispiel vorangehen müssen.
3 Den gewaltigen Geldbedarf beziffern
Die Aufgabe ist groß. „Der Gaza-Wiederaufbau wird Jahrzehnte dauern und enorme Ressourcen in Anspruch nehmen“, teilt das Entwicklungsministerium mit. Schon nach dem ersten Kriegsjahr war eine Schadensbewertung der Vereinten Nationen, der EU und der Weltbank auf eine Summe von 53 Milliarden Euro gekommen, die sich einer Ministeriumssprecherin zufolge inzwischen „auf über 100 Milliarden Euro erhöht haben“ dürfte. Genau wird sich das erst beziffern lassen, wenn die entsprechenden Experten wieder vor Ort sein können.
„In Gaza gibt es wirklich fast nichts mehr, es geht um den kompletten Neuaufbau einer städtischen Infrastruktur“, sagt der CSU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Stefinger, der dem Entwicklungsausschuss vorsteht und noch mehr Geld für notwendig hält: „Der finanzielle Bedarf dürfte in den Billionen-Bereich gehen, der deshalb auch nicht nur mit öffentlichen Mitteln bestritten werden kann, sondern viel privates Kapital erfordern wird.“
4 Mit einem dreistelligen Millionenbetrag geht es los
„Deutschland steht bereit, mit anzupacken“, teilte Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) am Montag mit, nachdem sie bereits am Sonntagabend im „Bericht aus Berlin“ des ARD-Hauptstadtstudios von einem dreistelligen Millionenbetrag gesprochen hatte, der nach dem Hamas-Terror eingefroren worden war und „jetzt wieder zur Verfügung“ stehe.
„Im Bereich Wasserversorgung, der zur Verhütung von Krankheiten besonders wichtig ist, kann Deutschland sofort loslegen“, berichtet der Fachpolitiker Stefinger: „Für die vor dem 7. Oktober 2023 geschlossen Verträge mit einem Volumen von mehr als 100 Millionen Euro sind die Gelder vom Bundestag bereits bewilligt.“ zu den weiteren Schwerpunkten, die Merz bereits genannt hat, gehört auf dem Weg zu einem eigenen Staat die Hilfe zur palästinensischen Selbstverwaltung.
5 Die Regierung berät bereits über mehr Geld
Klar ist daher, dass es bei diesen Millionenbeträgen aus der Zeit vor dem Krieg nicht bleiben kann und wird. Die nächste Finanzzusage dürfte spätestens auf der Konferenz von Kairo fällig werden, zumal Deutschland auch dazu einlädt. „Die Bundesregierung wird den Wiederaufbau unterstützen und arbeitet mit Hochdruck an der Bereitstellung dieser Unterstützung“, so die Sprecherin des Entwicklungsministeriums weiter: „Wie sich diese zusammensetzt, ist nun Gegenstand intensiver Gespräche innerhalb der Bundesregierung.“
Die langfristige Befriedung des Nahostkonflikts ist für Deutschland und Europa so wichtig, dass wir sicher einen dreistelligen Millionenbetrag bis zu einer Milliarde aus dem Bundeshaushalt dafür investieren werden.
Wolfgang Stefinger (CSU)
Mit einem größeren Betrag, der in den laufenden Gesprächen über den Bundeshaushalt des kommenden Jahres aufgetrieben werden muss, ist daher zu rechnen. Das Ministerium verweist ausdrücklich darauf, dass die Etatplanung für die nächsten Jahre „noch nicht abgeschlossen“ sei. Auch die Union, die kürzlich noch bei etwa 30 Millionen Euro für die Palästinensische Autonomiebehörde kritisch nachgefragt hatte, unterstützt das. „Die langfristige Befriedung des Nahostkonflikts ist für Deutschland und Europa so wichtig“, so der CSU-Mann Stefinger, „dass wir sicher einen dreistelligen Millionenbetrag bis zu einer Milliarde aus dem Bundeshaushalt dafür investieren werden.“
Auch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), über die ein großer Teil der deutschen Entwicklungszusammenarbeit abgewickelt wird, steht einer Sprecherin zufolge schon „für Aufträge zum Wiederaufbau von Gaza bereit“. Mit dem Entwicklungsministerium wie dem Auswärtigen Amt stehe man diesbezüglich bereits im Austausch.
6 Alleine will Deutschland den Wiederaufbau nicht stemmen
Der Verdacht liegt nahe, dass US-Präsident Donald Trump die politischen Lorbeeren für das Gaza-Abkommen ernten will, an einem finanziellen Engagement Amerikas aber kaum Interesse hat – schließlich hat seine Regierung die Entwicklungsagentur USAID zerschlagen. So wie die Europäer Waffen für die Ukraine bezahlen sollen, könnte Trump den teuren Wiederaufbau Gazas anderen überlassen wollen – was den Zahlungsdruck auf Deutschland noch erhöht.
Das Entwicklungsministerium pocht daher trotz der Bereitschaft zum eigenen Engagement auf das anderer Nationen in Gaza. „Diese enormen Summen können von keinem Land alleine gestemmt werden“, so eine Sprecherin: „Es ist daher wichtig, dass die Kosten des Gaza-Wiederaufbaus fair auf den Schultern der internationalen Gemeinschaft verteilt werden.“ Hier seinen auch, so Stefinger „Länder im arabischen Raum gefragt“, die sich aber auch die „Chancen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit“ nicht entgehen lassen wollten.
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