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Imagewechsel: Führungskräfte aus der Bundeswehr werden in der Wirtschaft inzwischen gern eingestellt.

© IMAGO

Julius-Leber-Kaserne in Berlin: Wirtschaft und Bundeswehr schulen Nachwuchskräfte

Junge Offiziere sollen von jungen Managern lernen – und umgekehrt. Deshalb bieten Bundeswehr und Berliner Wirtschaft gemeinsame Führungskräfteseminare an. Was kann das bringen?

Die erste Überraschung wartet auf dem Weg zum Tagungszentrum der Berliner Julius- Leber-Kaserne. 13 junge Wirtschaftsvertreter haben hier kürzlich Nachwuchskräfte der Bundeswehr getroffen, um „gemeinsam Führen zu lernen“, wie es in der Seminar-Ankündigung heißt. Die Ersten, auf die sie in der weitläufigen Kaserne stoßen, sind allerdings keine Soldaten, sondern gröhlende Kinder im Garten eines kleinen frei stehenden Gebäudes. Kitas sind nicht das einzige Anzeichen für den Wandel der Bundeswehr. Die Truppe soll schlanker und effizienter werden – und attraktiver als Arbeitgeber. „Die Bundeswehr ist ein Tanker, der bei voller Fahrt den Kurs ändern muss“, sagt später einer der Wirtschaftsvertreter. Gerade deshalb interessiert sich der 36-jährige Projektleiter von Siemens für die Erfahrungen der jungen Offiziere. „Siemens ist ja auch so ein Tanker im Transformationsprozess. Ich will wissen, wie sie mit den Veränderungen umgehen“, sagt Robert Harms.

Nicht nur die Bundeswehr hat also Interesse am Austausch mit der Wirtschaft. Auf der anderen Seite verspricht man sich ähnlich viel von der gemeinsamen Nachwuchsschulung. „In Auslandseinsätzen lernen Soldaten heute das Führen in einem interkulturellen Umfeld. Ihre Erfahrungen sind für unsere angehenden Führungskräfte daher sehr wertvoll“, sagt Stefan Moschko, Personalleiter Siemens Deutschland. Er arbeitet daran, das auf Berlin beschränkte Projekt auszuweiten.

Interkulturelle Kompetenz durch Auslandseinsätze

Partner der Bundeswehr in Berlin sind die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). Das Interesse der Mitglieder sei groß, sagt Jutta Wiedemann vom UVB – auch an der Führungskultur der Bundeswehr. Martina Neise, Personalleiterin bei Daimler Berlin, bestätigt das: „Für unsere Nachwuchskräfte ist es sehr hilfreich, andere Führungsstile und Unternehmenskulturen kennenzulernen, denn Vielfalt ist wichtig.“ Innerhalb der kommenden Monate werden sich die 20 Seminarteilnehmer dreimal zu mehrtägigen Veranstaltungen treffen und zwischendurch an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. Am Ende soll ein digitaler Leitfaden für den Führungsnachwuchs stehen, der Erkenntnisse aus Wirtschaft und Militär bündelt. Eine Vorgängergruppe hat dafür bereits die Basis geschaffen.

Zunächst erleben die Neuankömmlinge aus der Wirtschaft aber eine weitere Überraschung in der Kaserne. Oberst Boris Nannt, stellvertretender Sprecher von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Verantwortlicher für das Projekt bei der Bundeswehr, bietet allen Teilnehmern – auch den Soldaten – zu Beginn das „Du“ an. „Gefechts-Du“ nennt er es, was den Zivilisten andererseits wieder deutlich macht, dass das Militär eben doch kein normales Unternehmen ist.

Die Offiziere, die sich mit ihren Kollegen aus der Wirtschaft austauschen, sind deshalb auch nicht einfach nur militärische Manager. „In der Bundeswehr müssen wir auch in besonderen Situationen schnelle und klare Entscheidungen treffen, im Extremfall geht es dabei sogar um das Leben unserer Soldatinnen und Soldaten“, sagt Brigadegeneral Michael Matz. In Afghanistan haben das gerade junge Offiziere tatsächlich erlebt, wenn sie etwa als Zugführer mit ihren Soldaten in einen Hinterhalt gerieten. Viele von ihnen waren nicht einmal 30, kaum älter als die ihnen anvertrauten Soldaten.

Disziplin ist auch in der Wirtschaft wieder gefragt

Führung ist für eine Armee zwangsläufig ein zentrales Thema. In Unternehmen werde die Bedeutung dagegen oft noch unterschätzt, sagt Jutta Wiedemann vom UVB. Die Berichte der jungen Manager bestätigen das. Von Unsicherheiten im Umgang mit gleichaltrigen oder älteren Mitarbeitern ist da die Rede, oder Schwierigkeiten, Projektteams zu leiten, ohne gleichzeitig disziplinarischer Vorgesetzter der zugeordneten Kollegen zu sein.

Oberleutnant zur See Robert Radigk, 28, hat dagegen klare Vorstellungen von seiner Rolle: „Mitarbeiter müssen Führung auch spüren. Meine Leute können mir doch nur vertrauen, wenn ich bereit bin, Verantwortung zu übernehmen“, sagt er. Führung bedeutet für ihn auch, klare Ansagen zu machen. In vielen Betrieben scheint man sich heute auf solche Tugenden zu besinnen. „Mitarbeiter zu guten Leistungen zu motivieren, fängt schon in der Ausbildung an. Hier fehlt es nach Aussage der Unternehmen aber zunehmend schon an grundsätzlicher Disziplin“, sagt Verbandsvertreterin Wiedemann. Immer mehr Auszubildende hätten Probleme, sich einem geregelten Arbeitsalltag unterzuordnen. „Auch hier kann man von der Bundeswehr lernen.“

Also zurück zu Befehl und Gehorsam, auch in der Wirtschaft? Das wohl nicht. Auch bei der Bundeswehr spielten solche Führungsprinzipien primär im Einsatz in Gefahrensituationen und unter Zeitdruck eine Rolle, sagt Oberst Nannt. „Im Heimatbetrieb muss ich meine Mitarbeiter überzeugen, wenn ich will, dass sie mitziehen.“ Der „Wille zur Führung“ muss seiner Ansicht nach aber auch bei einem kooperativen Stil sichtbar werden. „Ich mache gerade bei jungen Leuten die Erfahrung, dass sie Führung suchen und sich auch anlehnen wollen.“ Den Seminarteilnehmern empfiehlt der Oberst ein Buch zur Inneren Führung der Bundeswehr, die Soldaten trotz straffer Hierarchien Handlungsspielräume zugesteht und vor allem die Möglichkeit zum Widerspruch.

Konkurrenz um Fachkräfte

Die Bundeswehr geht die Kooperation mit der Wirtschaft selbstbewusst an. Man kann das Offensive nennen oder Flucht nach vorn. Klar ist: Wenn sie im Kampf um Fachkräfte eine Chance haben will, muss sie ihr Image verbessern. „Wenn wir es schaffen, ein übergreifendes Netzwerk von Führungskräften aufzubauen, werden alle Seiten davon profitieren. Und für unsere Bewerber wird deutlich: Die Bundeswehr ist keine Sackgasse, sie bringt dich voran“, sagt Oberst Nannt. In der Wirtschaft sind ehemalige Soldaten laut UVB-Vertreterin Wiedemann schon jetzt gern gesehene Bewerber. „Die Bundeswehr bildet in vielen Berufen aus, und Zeitsoldaten sind zum Ende ihrer Dienstzeit gerade mal um die 30 und bringen viel Erfahrung mit.“ So wie Sandra Pfetzing-Huber, 32, Hauptmann und Mutter. Mit 27 war sie als Kompanieführerin bereits Vorgesetzte von 120 Soldaten, nun ist sie für die militärische Sicherheit eines norddeutschen Aufklärungsbataillons verantwortlich. Wenn sie die Bundeswehr demnächst nach zwölf Jahren verlässt, muss sie sich um ihre berufliche Zukunft keine Sorgen machen. „In der Sicherheitsbranche und auch bei Unternehmensberatungen sind meine Kenntnisse und meine Führungserfahrung gefragt.“

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 7. Juni 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels nachlesen.

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