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Tunesisches Tagebuch: Wo sind die Frauen?

Eine 24-jährige Lehrerin aus Sousse berichtet im Tagesspiegel von den Zuständen in Tunesien und fragt sich, wo die Frauen in der Übergangsregierung sind.

Ich habe gesagt, dass ich frei bin, aber jetzt habe ich wieder Angst. Meine Mutter sagt, sie war von Anfang an gegen das, was ich mache. Den anderen Eltern geht es genauso. Ihre Kinder schreiben öffentlich im Internet und reden jetzt offen, als ob es keine Kontrolle mehr gäbe. Dabei sitzen immer noch hunderte Informatiker im Innenministerium. Sie zensieren, hören ab und überwachen uns. So kann man auf einer Liste „Verdächtiger“ landen. Wir sind immer noch in den Fängen des alten Regimes, und die Zensur ist unser ständiger Zeuge!

Draußen demonstrieren sie. Ich will gleich los. Am Dienstag habe ich die Demonstration der Gewerkschaft verpasst. Jetzt gehe ich jeden Tag in die Innenstadt und schaue, was los ist. Es sind pazifistische Demonstrationen. Die Gewerkschaft genießt großes Vertrauen im tunesischen Volk. Sie verlangt die Auflösung der Regierungspartei. Die Übergangsregierung soll keinen der alten Minister mehr enthalten. Man muss sich das vorstellen: Sogar der Innenminister ist noch dabei, der Schießbefehle auf Demonstranten angeordnet hat!

Und was ist eigentlich mit Frauen in dieser Übergangsregierung? Tunesische Frauen, die erfolgreich und sehr leistungsfähig sind, spielen keine große Rolle in dieser Übergangsregierung. An den Demonstrationen nehmen wir Frauen aber teil, wenn auch nicht so zahlreich wie die Männer. Man sieht sehr viele Frauen mit und ohne Kopftuch, die rausgehen und Slogans hochhalten. Auch sie werden von der Polizei angegriffen. Und – ja, ich sage es jetzt! – einige wurden auch Opfer dieses Aufstands: Sie wurden von der Polizei und von Milizen vergewaltigt, vor allem im Landesinneren. Davon wird mittlerweile sogar im tunesischen Fernsehen öffentlich gesprochen.

Aber Kontrolle hin oder her: Wir müssen doch frei sprechen! Wenn ich das tue, dann ist das doch etwas ganz Normales, was Ehrenhaftes. Ich sage doch nur, was real passiert. Wir brauchen Transparenz.

Vergessen wir nicht, dass junge Leute für diese Revolution ihr Blut gelassen haben. Und die Korruption konnte doch nur um sich greifen, weil die Menschen stumm geblieben sind.

Protokolliert von Karin Schädler.

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