Proteste gegen Mohammed-Video: Ziviler Widerstand gegen radikale Eiferer wächst
In den Nationen des Arabischen Frühlings gehen die Menschen auf Distanz zu den Ausschreitungen gegen die Mohammed-Veröffentlichungen. Immer mehr Bürgern wird bewusst, dass die Salafisten religiöse Provokationen wie das Mohammed-Video nutzen, um ihre Agenda durchzusetzen. In Pakistan endet dieser Freitag dagegen blutig.
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Seit den frühen Morgenstunden waren die Aktivisten auf den Beinen. Ein roter Rettungsring prangt auf ihren blütenweißen T-Shirts mit der Aufschrift „Rettet Benghasi“. Es ist das Motto einer Freitagsdemonstration ganz anderer Art, zu der zahlreiche Bürgergruppen in der ostlibyschen Hafenstadt aufgerufen haben, die einst das Zentrum des Widerstands gegen Muammar Gaddafi war.
„Die Welt soll wissen, Benghasi ist nach wie vor gegen den Mohammed-Film und die Beleidigung des Propheten“, sagt Bilal Bentamer, Jurastudent und einer der Mitorganisatoren. „Aber wir verurteilen die Tötung von Freunden wie dem US-Botschafter Chris Stevens. Und die Welt soll wissen, in Benghasi und Libyen sind die Extremisten nicht in der Mehrheit.“
Tausende Menschen – die meisten ganz in Weiß gekleidet – machten sich am Nachmittag von dem Hotel „Tibesti“ im Zentrum der Stadt auf den Weg zum Shajara-Platz an der Corniche, wo die Rebellen gegen Gaddafi einst ihr Hauptquartier hatten. Vier Forderungen garnieren die roten Rettungsringe auf Hemden und Plakaten – Auflösung aller Milizen, ein Strafgesetz gegen das Tragen von Waffen, Evakuierung aller öffentlichen Gebäude von Bewaffneten sowie Aufbau einer effektiven Polizei und Armee.
Gleichzeitig geht es den Organisatoren aber auch um das Recht auf freie Meinungsäußerung und um Mäßigung der Religiösen. „Wir sind alle Muslime“, erklärt Aktivist Bilal Bentamer. „Diese Leute können nicht einfach den Propheten allein für sich reklamieren.“ Und so wächst in Libyen, aber auch in den beiden anderen Nationen des Arabischen Frühlings, Tunesien und Ägypten, der zivile Widerstand gegen die neuen, radikalen Eiferer.
Immer mehr Bürgern wird bewusst, dass die Salafisten religiöse Provokationen wie das Mohammed-Video nutzen, um eine viel weitergehende Agenda durchzusetzen. Ohne Skrupel reklamieren sie die Deutungshoheit darüber, wie künftig die neue arabisch-islamische Welt aussehen soll. Nicht divers, tolerant und offen, wie es die Mehrheit der moderaten Muslime oder Sufi-Gläubigen wünscht, sondern „koranisch“ – mit radikaler Eindeutigkeit und einfachen Parolen, notfalls erzwungen durch Einschüchterung und Gewalt im Namen Gottes.
Und so sah sich Tunesiens Chef der Ennahda-Muslimbruderschaft, Rached Ghannouchi, jetzt erstmals genötigt, auf klaren Konfrontationskurs zu gehen. „Jedes Mal, wenn Parteien oder Gruppen in schamloser Weise auf unserer Freiheit herumtrampeln, müssen wir entschlossen reagieren, hart durchgreifen und auf die öffentliche Ordnung pochen“, zitiert ihn die Nachrichtenagentur AFP. „Denn diese Leute sind nicht nur eine Bedrohung für Ennahda, sondern für die Sicherheit und Freiheit des ganzen Landes.“
Auch in Ägypten blieb es diesmal ruhig. Kein Vergleich zu den Bildern vor einer Woche, als ein vieltausendköpfiger Mob die amerikanische Botschaft bestürmte und sich drei Tage lang Straßenschlachten mit der Polizei lieferte. Gemeinsam erklärten Muslimbrüder und Salafisten, sie würden allen Demonstrationen fernbleiben und sich darauf beschränken, in der französischen Mission ein Protestschreiben gegen die „Charlie Hebdo“-Karikaturen abzugeben. Zu Ruhe und Umsicht mahnte auch der sunnitische Obermufti Ägyptens. „Es ist absolut klar, dass jegliche Gewalt, egal ob sie aus religiösen Motiven oder aus weltlichen Interessen gespeist wird, total zu verdammen ist“, schrieb Scheich Ali Gomaa in einem Essay für den TV-Sender Al Arabiya.
Gewalttätige Ausschreitungen in Pakistan
In Pakistan endeten Demonstrationen gegen den Anti-Islam-Film am Freitag dagegen blutig. Trotz scharfer Sicherheitsvorkehrungen kam es nach den Freitagsgebeten zu Unruhen mit mindestens 16 Toten und Dutzenden von Verletzten.
In der pakistanischen Hafenstadt Karachi im Süden des Landes starben nach Polizeiangaben zwölf Menschen, darunter drei Polizisten, 80 Menschen wurden verletzt. Es wurde befürchtet, dass die Zahl der Toten steigen könnte. Bei Unruhen im nördlichen Peshawar gab es nach Angaben des Rettungsdienstes vier Tote, unter ihnen ein Mitarbeiter eines Fernsehsender. In der Hauptstadt Islamabad durchbrachen nach Medienberichten Hunderte aufgebrachte Muslime Absperrungen rund um das Regierungsviertel. In dem Bereich liegen in einem zusätzlich gesicherten Areal auch westliche Botschaften. Erst gegen Abend gelang es der Polizei, die aufgebrachte Menge unter Kontrolle zu bringen.
Im ostpakistanischen Lahore lieferten sich Demonstranten in der Nähe des US-Konsulats ebenfalls Straßenschlachten mit Sicherheitskräften. Innenminister Rehman Malik erklärte, die Armee stünde zum Eingreifen bereit. Die Kommunikation im Land war schwierig, weil die Regierung am Freitag in 15 großen Städten zeitweise den Mobilfunkservice ausgesetzt hatte.
Video: Wütende Proteste gegen Mohammed-Film in Pakistan
Pakistans Premierminister Raja Pervez Ashraf hatte den Freitag zum landesweiten Feiertag zu Ehren des Propheten Mohammed erklärt. Zahlreiche politische und religiöse Gruppen hatten zuvor zu Protesten nach den Freitagsgebeten aufgerufen. Das Schmähvideo aus den USA, in dem der Prophet Mohammed verunglimpft wird, sei die „schlimmste Art von Bigotterie“, sagte Ashraf. Gleichzeitig forderte er die internationale Gemeinschaft dazu auf, Wege zu finden, um Äußerungen zu verbieten, die „Hass schüren und die Saat der Zwietracht säen“.
Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad warf dem Westen Doppelmoral vor. „Der Westen behauptet, es sei Teil der Meinungsfreiheit, den Propheten Mohammed zu beleidigen. Aber warum unterdrücken sie dann wegen einer einfachen historischen Frage Geschichtsforscher und bedrohen eine ganze Nation deswegen?“, sagte Ahmadinedschad am Freitag in Teheran.
Zu Protesten kam es auch in anderen Ländern. Im indischen Teil Kaschmirs gingen zahlreiche Menschen auf die Straße, in der Regionalhauptstadt Srinagar kam es laut Medienberichten zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. In Neu Delhi blieb am Freitag die US-Botschaft aus Sicherheitsgründen geschlossen.
In Malaysia zogen nach Polizeischätzungen etwa 5000 Menschen vor der US-Botschaft und einer nahe gelegenen Moschee auf. In Indonesien waren gepanzerte Polizeifahrzeuge vor der US-Botschaft aufgefahren.
In Kabul protestierten Hunderte Afghanen friedlich.
(mit dpa)
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