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Nachbau des Holocaust-Mahnmals nahe des Hauses von Björn Höcke in Bornhagen.

© imago/snapshot

Exklusiv

ZPS als "Kriminelle Vereinigung"?: Die Geraer Ermittlungsakte 173 Js 39497/17

16 Monate lang wurde gegen das "Zentrum für politische Schönheit" ermittelt. Hatte der Geraer Staatsanwalt Zschächner politische Motive?

Von Matthias Meisner

16 Monate lang wurde gegen die Aktionskünstler vom "Zentrum für politische Schönheit" (ZPS) ermittelt, Verdacht auf "Bildung einer kriminellen Vereinigung". Die 83-seitige Ermittlungsakte des Verfahrens 173 Js 39497/17 liegt nun dem Tagesspiegel vor. Sie lässt fragwürdig erscheinen, warum der mutmaßlich AfD-nahe Geraer Staatsanwalt Martin Zschächner überhaupt ein Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuches einleitete. Und erst recht, warum es nicht viel rascher abgeschlossen wurde.

Zschächner hatte ausweislich eines von ihm am 29. November 2017 gefertigten Vermerks die Ermittlungen von Amts wegen eingeleitet. Wenige Tage zuvor hatte das ZPS den Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals im Eichsfeld-Dorf Bornhagen errichtet, direkt neben dem Grundstück des thüringischen AfD-Chefs Björn Höcke. Die Aktionskünstler protestierten so gegen Höckes Dresdner Brandrede im Januar 2017, in der dieser die Berliner Gedenkstätte als "Denkmal der Schande" bezeichnet und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" hatte.

Der Staatsanwalt sah dem dreiseitigen Vermerk zufolge den Verdacht auf "Bildung einer kriminellen Vereinigung" beim ZPS-"Kopf" Philipp Ruch "und weiteren noch nicht namentlich bekannten Mitgliedern" der Gruppierung begründet, weil diese im Rahmen ihrer Aktion dazu aufgerufen hatten, "in organisierter und strukturierter Weise Maßnahmen der dauerhaften Observation" gegen Höcke zu ergreifen.

Unter anderem sei dazu ein "zivilgesellschaftlicher Verfassungsschutz" gegründet worden. Zschächner schrieb, durch die Verwendung dieses Begriffes werde deutlich, dass den Initiatoren daran gelegen sei, "geheimdienstliche Tätigkeiten in eigener Regie auszuführen". Der Staatsanwalt unterstellte Ruch und seinen Mitstreitern eine geplante "optische Totalüberwachung" des AfD-Politikers, "vermittels leistungsstarker Bild- und Fototechnik".

Und: "Dass es die Gruppierung um das ,Zentrum' mit seinen Verlautbarungen ernst meint, zeigt bereits die Errichtung der angekündigten Betonstelen auf einem unmittelbar an das Grundstück des Abgeordneten Höcke angrenzenden Grundstück." Weiter schrieb Zschächner: "Eine Rechtfertigung des Geschehens durch die Kunstfreiheit kommt ersichtlich nicht in Betracht."

Keine verdeckte Observierung von Ruch

Die Ermittlungsakte enthält vor allem Presseberichte, zwei Anzeigen von Privatpersonen gegen das ZPS und seine Aktivisten. Es finden sich Unterlagen zu einem von der Staatsanwaltschaft Mühlhausen im Oktober 2018 wegen Nötigung von Höcke eingestellten Ermittlungsverfahren, außerdem der Schriftverkehr mit den ZPS-Anwälten, die erst Ende März 2019 von den Ermittlungen nach Paragraph 129 erfahren hatten.

Mit beschmiertem Gesicht posiert Philipp Ruch in Berlin.
Mit beschmiertem Gesicht posiert Philipp Ruch in Berlin.

© Kay Nietfeld dpa/lbn

Was in ihr fehlt: auch nur ein erhärtetes Indiz für den vom Geraer Staatsanwalt Zschächner erhobenen Verdacht gegen die Aktionskünstler. Noch am 2. April 2019 aber lehnte Zschächner eine Aktenübersendung an die ZPS-Anwälte ab, "da hier die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind".

Zwei Tage später verteidigte Thüringens Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) zwar die Einleitung des Ermittlungsverfahrens, zeigte sich aber über dessen lange Dauer verwundert. "Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens beruhte auf eigenem Verhalten des Zentrums für politische Schönheit und war nicht politisch motiviert", erklärte er damals dem Tagesspiegel.

Zschächner wurde innerhalb der Behörde versetzt

Am vergangenen Montag machte Thüringens Justizministerium die Einstellung der Ermittlungen gegen das ZPS publik, vorangegangen war ein Gespräch Lauingers mit der Generalstaatsanwaltschaft Thüringens und der Leitung der Staatsanwaltschaft Gera. Zschächner wurde innerhalb der Behörde versetzt und als deren Pressesprecher abberufen.

Am vergangenen Donnerstag verfasste der Geraer Oberstaatsanwalt Ralf Mohrmann eine vierseitige Verfügung zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens. Sie liest sich wie eine kritische Abrechnung mit dem auch wegen anderer Verfahren umstrittenen Ermittler Zschächner - ohne dass dessen Name erwähnt wird.

ZPS-Gründer Ruch habe demnach bereits Anfang Dezember 2017 öffentlich mitgeteilt, dass es sich bei der Überwachungsaktion gegen Höcke "nur um eine Inszenierung gehandelt" habe. Eine "nach außen wirkende Ernsthaftigkeit" des Aufrufes zur Ausspähung und Ausspähung des AfD-Politikers sei spätestens zu diesem Zeitpunkt "nicht mehr erkennbar" gewesen, meint Zschächners Kollege.

Auf die verdeckte Observierung von Ruch und seinen Mitstreitern war daraufhin nach Angaben der Ermittlungsbehörde verzichtet worden - grundsätzlich gibt Paragraph 129 Strafgesetzbuch den Ermittlern weitreichende Befugnisse.

"Höcke pflegt selbst robusten Sprachgebrauch"

Auch das in Mühlhausen geführte Verfahren habe "keinerlei Belege für die Durchführung von Überwachungsmaßnahmen" von Höcke gegeben, erklärt Mohrmann weiter. Den Tatbestand der Amtsanmaßung durch die Gründung eines "zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutzes" sieht er ebenfalls nicht erfüllt.

Zum Abschluss der Verfügung plädiert Mohrmann klar für die Kunstfreiheit: Was auch immer das ZPS im Rahmen seiner Anti-Höcke-Aktion unternommen hat, der AfD-Politiker musste es aus Sicht des Ermittlers hinnehmen. Mohrmann schreibt, das "angekündigte Übel" der vorgeblichen Abhörung und Ausspähung müsse Höcke als "polarisierender Person" zugemutet werden.

Der Oberstaatsanwalt aus Gera verweist auf eine Bewertung der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft vom Dezember 2018 zu dem Fall. Demnach pflege Höcke im politischen Meinungskampf selbst einen "robusten Sprachgebrauch". Sich daraus ergebende Repliken müssten "an diesem weiten Maßstab gemessen werden".

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