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Im Prozess kamen weitere Informationen zu Zschäpes Leben im Untergrund ans Licht.

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Update

38. Verhandlungstag im NSU-Prozess: Zschäpe länger in Hannover als vermutet

Im Prozess um die Morde des NSU wurden am Dienstag Fotos aus dem verbrannten Haus in Zwickau vorgelegt, die unter anderem Bibliotheksausweise von Beate Zschäpe aus Hannover zeigen. Zschäpe hielt sich womöglich länger in Hannover - und damit in der Nähe des Mitangeklagten Holger G. - auf, als gedacht.

Von Frank Jansen

Beate Zschäpe hat sich möglicherweise während ihrer Zeit im Untergrund länger in Hannover aufgehalten als bislang bekannt. Am Dienstag wurden im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München Fotos gezeigt, auf denen zwei Ausweise einer Bibliothek in Hannover mit Lichtbildern von Zschäpe zu sehen waren. Die Dokumente sind auf andere Namen ausgestellt, ein Ausweis ist mit „S. Rossberg“ unterschrieben. Auf dem anderen Papier fehlt die Unterschrift. Die Ausweise hatte die Polizei im Schutt der von Zschäpe am 4. November 2011 in Zwickau angezündeten Wohnung gefunden.

Denkbar erscheint allerdings auch, dass Zschäpe zumindest den unterschriebenen Ausweis zudem als Notbehelf nutzte, weil sie vielleicht  gar keinen falschen Personalausweis oder Reisepass hatte. So hätte sie bei einer Frage nach ihren Papieren sagen können, sie habe den Personalausweis zuhause vergessen und nur das Dokument der Bibliothek dabei  - das immerhin halboffiziell wirkt. Ein falscher Personalausweis oder Reisepass von Zschäpe ist bislang noch nicht aufgetaucht.

Die Fotos mit den Ausweisen sind Teil einer Serie hunderter Bilder der in Zwickau gefundenen Gegenstände. Ein Brandursachenermittler der Polizeidirektion Südwestsachsen hat die Bilder seit Juni an mehreren Prozesstagen gezeigt und knapp erläutert. Zu den Bibliotheksausweisen äußerte er sich nicht weiter.

Sollte Zschäpe mit falschem Namen mehrfach in Hannover Bücher ausgeliehen haben, hätte der im nahen Lauenau wohnende Mitangeklagte Holger G. in seinem Geständnis womöglich einige Besuche der Frau verschwiegen. Anfang Juni trug G. aus einer schriftlich formulierten Erklärung vor, er habe Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Zschäpe einmal pro Jahr in Hannover oder an einem Urlaubsort der drei getroffen. Von längeren Aufenthalten Zschäpes in Lauenau war nicht die Rede. Holger G. hatte Böhnhardt einen Reisepass und einen  Führerschein verschafft, beide Dokumente waren manipuliert. Für Zschäpe besorgte G. eine Versichertenkarte der AOK. Holger G. gab außerdem zu, etwa 2000 oder 2001 im Auftrag des mitangeklagten Ex-NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben den drei Untergetauchten eine Waffe nach Zwickau gebracht zu haben. Zschäpe soll ihn damals vom Bahnhof abgeholt und zum Versteck der drei gebracht haben, wo Mundlos oder Böhnhardt die Waffe durchluden.

Fragen zu seinem Geständnis hat Holger G. allerdings bislang nicht beantwortet. Der Angeklagte ist aus Sicht der Bundesanwaltschaft eine wichtige Figur im Prozess, da G. mit seinen Aussagen im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung Zschäpe belastet hat.

Am Nachmittag begann der Strafsenat die Beweisaufnahme im Fall des siebten NSU-Mordes, des Attentats auf den Griechen Theodoros Boulgarides. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten Boulgarides am 15. Juni 2005 in dem von ihm und einem deutschen Partner betriebenen Schlüsseldienst getötet. „Er lag hinter der Theke, das Telefon lag hinter ihm“, sagte der als Zeuge geladene ehemalige Kompagnon. Er hatte den Laden erst 14 Tage zuvor mit dem Griechen eröffnet. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl nach den Folgen der Tat für die Familie von Boulgarides antwortete der gebrochen wirkende Zeuge: „Die totale Zerstörung, nicht nur für die Angehörigen“.

Die Mutter habe immer Angst gehabt und sei dann mit einem Bruder von Theodoros nach Griechenland  zurückgekehrt. Die Folgen für den Zeugen selbst waren ebenfalls gravierend. Er habe sich von seiner langjährigen Freundin getrennt, sagte der Mann. Außerdem habe ihn die Tat viel Geld gekostet, „weil die Polizei mich lange schikaniert hat“. Er sei monatelang immer wieder vorgeladen worden. „Es ging immer ums selbe, es drehte sich ständig im Kreis“, sagte er. Er habe nicht verstanden, warum er ständig beantworten sollte, „ob mein Kollege sexsüchtig oder spielsüchtig war“. Die Polizei habe „uns in den Dreck ziehen“ wollen. „Und das haben  sie auch geschafft, ich habe Kunden verloren“. Den Schlüsseldienst betreibt der Zeuge nicht mehr.

Für ihn war „Theo“ der freundlichste Mensch, „den man sich nur vorstellen kann“. Es habe nie Streit gegeben. Der Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler wollte wissen, ob Boulgarides türkisch gesprochen habe. Die Frage erschien logisch, da die NSU-Mörder Mundlos und Böhnhardt vor den Schüssen auf den Griechen immer gezielt Türken getötet hatten. Boulgarides sei „oft als Türke angesprochen“ worden, erinnerte sich der Zeuge.

Die Antwort lässt vermuten, dass die Terrorzelle Boulgarides auch für einen Türken gehalten und ihn deshalb umgebracht hat. Sechs Tage vor dem Mord in München hatten Mundlos und Böhnhardt in Nürnberg den türkischen Imbissbetreiber Ismail Yasar erschossen.

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