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Zweiter Anlauf im Bundestag: Was bei der Richterwahl auf dem Spiel steht
Die Neubesetzung von Richterstellen in Karlsruhe ist in normalen Zeiten eine Nachricht, die außerhalb von Fachkreisen kaum Widerhall findet. Warum das diesmal anders ist.
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Mit Zuversicht und einem Rest Nervosität blickt die schwarz-rote Koalition auf die für den Nachmittag geplante Wahl von drei Verfassungsrichtern durch den Bundestag. Im zweiten Anlauf soll nun klappen, was im Juli in der letzten Sitzung vor der Sommerpause krachend gescheitert ist. Sollte auch der neue Versuch schiefgehen, würde das die Koalition erneut bis ins Mark erschüttern.
Die Vorgeschichte: Symbol für einen holprigen Start
Die geplatzte Richterwahl gilt neben dem Hin und Her um die Strompreissenkung als Hauptgrund dafür, dass die schwarz-rote Koalition in ihren ersten Monaten ein ziemlich zerstrittenes Bild abgegeben hat. Kurz vor der Abstimmung im Parlament war der Widerstand in der Union gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf unter anderem wegen deren Haltung zu Abtreibungen so groß geworden, dass Fraktionschef Jens Spahn (CDU) die Reißleine zog und für die Absetzung der Wahl sorgte. Die SPD sah das Vertrauen in der Koalition erschüttert. Die Potsdamer Staatsrechtlerin verzichtete später nach einigem Zögern auf ihre Kandidatur.
Die Kandidaten: Zwei Frauen und ein Mann
Mit der Bundesverwaltungsrichterin Sigrid Emmenegger hat die SPD nun eine Ersatzkandidatin gefunden, gegen die es in der Union praktisch keine Einwände mehr gibt. Kritischer wird die zweite SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold wegen ihrer Positionen zum Klimaschutz und zu Vergesellschaftungen gesehen. Die mögliche Zahl der Gegenstimmen wird aber auch bei ihr als übersichtlich eingeschätzt. Der dritte Kandidat wurde von der Union vorgeschlagen, nachdem sich das Bundesverfassungsgericht einstimmig für ihn ausgesprochen hatte: Der Arbeitsrichter Günter Spinner ist der Ersatzmann für den Verwaltungsrichter Robert Seegmüller, für den die Union keine Mehrheit bei den anderen Fraktionen gefunden hat.
Die Wahl: Urnen sind zwei Stunden offen
Gewählt wird geheim. Am Ende wird man also nicht wissen, wie viele Abgeordnete aus den einzelnen Fraktionen für die Kandidaten gestimmt haben. Für die Wahl eines Kandidaten oder einer Kandidatin müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Es müssen zwei Drittel der abgegebenen Stimmen auf ihn oder sie entfallen. Außerdem müssen mindestens die Hälfte aller Abgeordneten mit Ja stimmen.
Die schwarz-rote Koalition hat zusammen mit den Grünen 413 Sitze im Parlament - sieben weniger als die Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten von 420 Stimmen. Das bedeutet, dass möglicherweise Stimmen von Linken oder AfD nötig sind, um zu einer Mehrheit zu kommen. Das hängt aber davon ab, in welcher Stärke die Fraktionen tatsächlich anwesend sind.
Damit möglichst wenige Abgeordnete die Wahl verpassen, sind die Urnen diesmal mit zwei Stunden ungewöhnlich lange offen. Geöffnet werden sie gegen 16.20 Uhr. Das Ergebnis dürfte nach der Auszählung dann also gegen 19.00 Uhr verkündet werden.
Szenario 1: Alles läuft glatt
Wenn alle drei Kandidaten durchkommen, wird den Koalitionären mehr als nur ein Stein vom Herzen fallen. Die gescheiterte Richterwahl lastet nun schon elf Wochen auf dem Bündnis von CDU, CSU und SPD. Alle drei Parteien wollen das Thema so schnell wie möglich abhaken.
Die drei neuen Verfassungsrichter müssen nach einer Wahl noch ein paar Tage warten, bis sie ihre Büros in Karlsruhe beziehen können. Die Ernennung durch den Bundespräsidenten ist für Anfang Oktober geplant. Bereits an diesem Freitag steht aber im Bundesrat die Wahl der neuen Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts an. Für diesen Posten ist Kaufhold vorgeschlagen - sollte sie im Bundestag eine Mehrheit bekommen.
Szenario 2: Ein Kandidat scheitert
Am wackeligsten von den drei Kandidaten ist Günter Spinner. Die Union setzt darauf, dass ihr Kandidat die Rückendeckung aller Karlsruher Richter hat und deswegen gewählt wird. Die Linke ist aber sauer, weil die Union nicht mit ihr über den Kandidaten reden wollte, weil die CDU sich mit einem Parteitagsbeschluss die inhaltliche Zusammenarbeit mit der Linken untersagt hat.
Die Linke steht nach Aussage von Fraktionschefin Heidi Reichinnek geschlossen hinter den beiden SPD-Kandidatinnen, beim Unionskandidaten hat die Fraktion die Abstimmung freigegeben. „Es werden verschiedenen Abgeordnete verschieden abstimmen“, sagte Reichinnek in den ARD-„Tagesthemen“.
So gibt es einige in der Linken wie den früheren Fraktionschef Dietmar Bartsch, die für ein konstruktives Vorgehen sind. „Sie können glaube ich sicher sein, dass an der Linken die Wahl der Verfassungsrichterinnen und des Verfassungsrichters nicht scheitern wird“, sagte Bartsch am Mittwoch im Deutschlandfunk.
Und dann ist da ja auch noch die AfD, die mit Spinner kein Problem hat. Weil es eine geheime Wahl ist, wird man nachher nicht wissen, ob eine Mehrheit nur mit den Stimmen der AfD zustandegekommen ist.
Szenario 3: Mehrere Kandidaten scheitern
Das ist sehr unwahrscheinlich. Kaufhold wird zwar von der AfD abgelehnt, mit ihr hat aber die Linke kein Problem. Emmenegger könnte das beste Ergebnis bekommen. Gegen sie gibt es aus keiner Fraktion größere Einwände
Aber sollte auch nur ein Kandidat oder eine Kandidatin scheitern, wäre das für die Koalition eine mittlere Katastrophe und würde den Start in den von Merz ausgerufenen „Herbst der Reformen“ schwer belasten.
Letzter Ausweg Bundesrat
Der Bundestag könnte bei einem Scheitern einen neuen Vorschlag machen oder den gescheiterten Kandidaten erneut zur Wahl stellen. Es können aber auch das Bundesverfassungsgericht oder der Bundesrat ins Spiel kommen.
Das geht auf einen Gesetzentwurf zurück, auf den sich SPD, Grüne, FDP und Union sich schon vor dem Ende der Ampel-Koalition verständigt hatten, um das Bundesverfassungsgericht widerstandsfähiger gegen Einflussnahme und Blockade durch Verfassungsfeinde zu machen. Kern der Reform ist, dass bestimmte Regeln nicht mehr mit einfacher Mehrheit geändert werden können. Sie sieht aber auch einen Mechanismus für den Fall vor, dass der Bundestag nicht weiter kommt.
In diesem Fall wird zuerst das Bundesverfassungsgericht nach einem Vorschlag gefragt. Wenn drei Monate danach die Richterstelle immer noch unbesetzt ist, kann der Bundesrat die Wahl an sich ziehen und mit einfacher Mehrheit entscheiden.
Im Fall von Spinner hat das Verfahren bereits Stufe zwei erreicht. Er ist ein Vorschlag des Verfassungsgerichts. Bei seinem Scheitern könnte der Bundesrat das Heft des Handelns also in die Hand nehmen. Bei Emmenegger und Kaufhold wäre zunächst das Bundesverfassungsgericht gefragt.
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