Von Lars Hartfelder, Briesensee: Abwasser-Rebellin „abtransportiert“
Polizei-Großeinsatz im Spreewalddorf Briesensee / 56-jährige Ortsbürgermeisterin in Gewahrsam genommen
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5.30 Uhr. Es ist noch dunkel. Ins beschauliche Spreewalddorf Briesensee bei Lübben (Dahme-Spreewald) rollen mehrere Polizeiwagen ein. Straßen werden abgesperrt, Autos kontrolliert. Doris Groger hat sich mit ihren Söhnen Peter und Paul auf dem eigenen Grundstück verbarrikadiert. Mit einem Grundgesetz in der Hand wartet Doris Groger auf den angekündigten Polizeieinsatz.
„Ich werde keinen Millimeter freiwillig von meinem Zuhause weichen“, gibt sich die 56-Jährige kämpferisch. Sie weigert sich seit Jahren, den Haushalt ans öffentliche Abwassernetz anzuschließen, weil sie eine biologische Kläranlage besitzt. Das Amt Lieberose/Oberspreewald besteht aber auf die Einhaltung der geltenden Verträge mit dem Abwasserzweckverband, wonach alle Haushalte verpflichtet sind, ihr Schmutzwasser an das kommunale Netz abzuführen. Klagen vor dem Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht haben diesen Zwang bestätigt. Das brandenburgische Verfassungsgericht lehnte die Beschwerde ab. Entscheidungen, die Doris Groger nicht nachvollziehen kann und akzeptieren will. „Ich habe Klage beim europäischen Gerichtshof eingereicht.“
Doris Groger ist seit 1998 Ortsbürgermeisterin (parteilos) in Briesensee. In mehreren Gemeinderatsbeschlüssen hatte sich das Dorf gegen eine Kanalisierung ausgesprochen. Das Amt Lieberose nahm die bereits unterschriebenen Verträge aber nicht mehr zurück. Bereits am 19. und 20. Dezember vergangenen Jahres und am 19. Mai hatte die Verwaltung einen Zwangsanschluss angedroht, in letzter Minute aber jeweils von einer polizeilichen Durchsetzung abgesehen.
Diesmal kennt Amtsleiter Bernd Boschan keine Gnade mehr. „Jeder muss sich an das geltende Recht halten, Ausnahmen sind nicht möglich.“ Auch die eindringliche Bitte der Landtagsabgeordneten Renate Adolph (Die Linke) lässt den Amtsdirektor kalt. „Frau Groger ist eine Pionierin für die biologische Wasseraufbereitung und wird hier wie eine Schwerverbrecherin behandelt“, sagt Adolph.
Um 6 Uhr bittet der Amtsleiter Doris Groger zum letzten Mal darum, ihren Haushalt freiwillig anzuschließen – sie lehnt ab. Bernd Boschan spricht daraufhin einen Platzverweis für alle Personen aus, die sich auf dem Grundstück befinden. Von nun an übernimmt die Polizei das Geschehen. „Die Rechtslage ist für uns eindeutig. Wenn sie das Grundstück nicht verlassen, sind wir gezwungen, Gewalt anzuwenden“, redet Lübbens Polizeichefin Annett Urban auf die Widerständler ein. „Von mir und meinem Zuhause geht keine Gefahr aus“, entgegnet die allein erziehende Mutter unter Tränen. Das große Polizeiaufgebot, 25 Beamte sind im Einsatz, schockiere sie. „Haben sie so viel Angst vor einer alten Frau?“ Vor den Straßensperren haben sich mittlerweile Einwohner, Sympathisanten und Umweltaktivisten versammelt, die der Ortsbürgermeisterin beipflichten wollen.
Ein Deeskalationsteam der Polizei versucht nochmals auf Doris Groger einzureden, das Grundstück doch freiwillig zu verlassen. Aber die 56-Jährige bleibt standhaft. „Es ist ein schlimmes Gefühl. Das Aufgebot ist riesig, ich fühle mich wie eine Terroristin“, sagt die Briesenerin. Über den Hintereingang verschaffen sich die Polizisten Zugang zum Gelände. Doris Groger klemmt ihren Körper zwischen mehreren Holzbalken und hält sich mit aller Kraft an ihnen fest. „Meine Rechte werden mit Füßen getreten“, schreit sie. „Sie dürfen das Grundgesetz nicht brechen.“ Mit großer Kraftanstrengung gelingt es den Beamten nach rund 15-minütigem Kampf Doris Groger in den Polizeiwagen zu tragen. „Halte durch Mama“, ruft ihr Sohn Peter, der wenig später ebenfalls in Gewahrsam genommen wird.
Die Zaungäste sind vom rigorosen Vorgehen der Polizei schockiert. „So etwas wäre in anderen europäischen Ländern undenkbar“, sagt Gerald Rollett, der zur Unterstützung aus Stuttgart angereist war. Auch einigen Polizisten scheint an dem Morgen nicht ganz wohl zu sein. Mit düsterer Mine beobachten sie das Geschehen. „Leicht fällt es mir nicht“, sagt ein Beamter. „Aber wir müssen unsere Arbeit tun.“ „Die Bilder sind unschön und bedauerlich“, sagt Polizei-Sprecher Thomas Wilde. „Wir sind gesetzlich zur Vollzugshilfe verpflichtet und hatten keine andere Wahl.“ Die Polizei müsse den rechtsgültigen Gerichtsbeschluss durchsetzen. Verletzte gab es keine.
„Hier wurde völlig unverhältnismäßig agiert“, kritisiert Renate Adolph. Für eine Frau, die ökologisch Wasser aufbereitet, sei der riesige Polizei-Einsatz nicht gerechtfertigt. Das Innenministerium war gestern zu keiner Stellungnahme bereit. Die Abgeordnete wolle den Fall im Landtag mit einer Anfrage thematisieren.
Um 7.30 Uhr ist das Grundstück von allen Widerständlern befreit, bis auf Paul Groger. Der ältere Sohn ist im Sitzstreik auf dem Dach des Wohnhauses. Er bleibt unter Beobachtung, die Polizei sieht von weiteren Schritten ab. Unterdessen rücken die Kanalarbeiter an. Sie beginnen sofort mit den Grabungsarbeiten. Um 11 Uhr ist der Haushalt ans öffentliche Abwassernetz angeschlossen. Praktisch zeitlich wird Doris Groger in Lübben aus der Gewahrsam entlassen. „Ich werde das nie akzeptieren“, sagt sie. Wenn sie nach Hause komme, wolle sie die Rohre mit ihren Söhnen wieder ausgraben. „Meine biologische Kläranlage produziert Badewasser- und teilweise sogar Trinkwasserqualität“, begründet sie ihren Standpunkt. Ihre Kritik richtet sich vor allem an die Kommunal- und Landespolitik. Die Englisch-Lehrerin bangt inzwischen um ihren Job. Für heute sei im Schulamt eine Anhörung angesetzt worden.
Lars Hartfelder, Briesensee
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