Fall Ermyas M.: "Beweislage ist gleich Null"
Im Prozess zum Übergriff auf den Deutsch-Äthiopier Ermyas M. hat die Verteidigung scharfe Kritik an dem Verfahren geübt - und von der Staatsanwaltschaft Freispruch gefordert.
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Potsdam - "Die Beweislage für eine Verurteilung ist gleich Null", sagte Rechtsanwalt Matthias Schöneburg. Die Staatsanwaltschaft könne nichts anderes als einen Freispruch für die beiden Angeklagten beantragen. Sie habe in dem Prozess keine neuen Beweise vorgelegt. Alle Details seien bereits kurz nach der Festnahme der Beschuldigten bekannt gewesen. Dennoch sei es zur Anklage gekommen. Am zehnten Prozesstag wurde der Hauptangeklagte Björn L. am Freitag erneut entlastet.
Schöneburg sieht in dem großen politischen und medialen Rummel einen Grund dafür, dass sein Mandant mehr als fünf Monate in Untersuchungshaft gesessen habe. Niemand habe sich getraut, angesichts der dünnen Beweislage zu sagen: "Wir haben den Falschen." Die Staatsanwaltschaft versuche krampfhaft, die Angeklagten als Täter zu überführen. Ohne die Politisierung des Verfahrens wäre es möglicherweise nicht zu einer Anklage gekommen. Der Verteidiger sprach sich angesichts der schlechten Beweislage für eine Abkürzung des Verfahrens aus.
"Mein Sohn war in der Tatnacht zu Hause"
Seine Freundin, seine Mutter sowie Nachbarn am Freitag sagten aus, L. sei zur Tatzeit kaum zu verstehen gewesen. Seine Stimme habe rau und kratzig geklungen. Die Freundin sagte: "Die Stimme auf der Mailbox war definitiv und zu 150 Prozent nicht die von Björn." Eine verbale Auseinandersetzung zwischen Ermyas M. und den Angeklagten war auf der Mailbox der Frau des Opfers aufgezeichnet worden. Zeugen wollen darauf die Stimme des Hauptangeklagten erkannt haben. L. wird seit seiner Kindheit wegen seiner hohen Stimme "Pieps" genannt. An früheren Prozesstagen hatten bereits sein Arzt sowie Polizisten geschildert, L. sei zum Tatzeitpunkt um Ostern 2006 sehr heiser gewesen.
Die Mutter sagte zudem, ihr Sohn habe in der Tatnacht zu Hause im Bett gelegen. Sie habe ihn dort gegen Mitternacht und morgens gesehen. Es sei ihm nicht gut gegangen. Hätte er das Haus verlassen, hätten ihre Hunde im Keller angeschlagen und sie wäre wach geworden. Aus Sicht von Opfer- und Nebenklageanwalt Thomas Zippel ist damit nicht erwiesen, dass L. nicht doch am Tatort war: "Ich bin überzeugt, dass die Mutter es nicht mitbekommen haben könnte, dass ihr Sohn das Haus verlassen hat."
Wohl keine rassistischen Motive
Die Staatsanwaltschaft sieht keinen Anlass, der Forderung der Verteidigung zu entsprechen und den Prozess zu verkürzen. Oberstaatsanwalt Rüdiger Falch wies darauf hin, dass noch einige Sachverständige zu hören seien. So stehe noch die Aussage eines Phonetikers sowie eines Stimmgutachters aus. Beide seien für Ende April geladen.
Björn L. und Thomas M. sollen am Ostersonntag 2006 gegen vier Uhr morgens an einer Haltestelle mit Ermyas M. in Streit geraten sein und den dunkelhäutigen Potsdamer als "Scheiß-Nigger" beschimpft haben. Infolge der Auseinandersetzung soll Björn L. den gebürtigen Äthiopier mit einem heftigen Schlag ins Gesicht niedergestreckt haben. Der Familienvater erlitt bei dem Angriff schwerste Kopfverletzungen und lag wochenlang im Koma. Der Fall hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt, weil die Ermittler zunächst von einem rassistisch motivierten Mordversuch ausgegangen waren. Dieser Vorwurf ließ sich jedoch im Laufe der Ermittlungen nicht halten. Ermyas M. kann sich an den Hergang nicht erinnern. (tso/ddp/dpa)
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