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Auf der Landflucht. Wildschweine kommen immer öfter aus dem Wald in die Gärten der Stadt.

© dpa/pa

Von Rainer W. During und Annette Kögel: Borstenvieh auf Abwegen

Wildschweine werden zunehmend zur Plage für Gartenbesitzer. Aber in Wohngebieten dürfen Jäger sie nur im Notfall schießen

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Berlin ist beliebt – auch bei Wildschweinen. Rund 6000 Tiere sollen sich in der Stadt herumtreiben. Doch die Borstentiere verhalten sich nicht immer stadtverträglich. Sie lassen sich immer weniger abschrecken, machen sich in Wohngebieten breit und verwüsten Gärten in der Stadt und in den umliegenden Gemeinden. Bei einer Attacke eines angeschossenen Tieres kam kürzlich sogar ein Jäger im brandenburgischen Linthe ums Leben.

Derk Ehlert, der Jagdreferent der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, sieht zwar keinen Grund zur Panik. Mit Attacken wie der auf den Jäger sei nur dann zu rechnen, wenn sich die Tiere bedroht fühlten. Dennoch ist Ehlert besorgt: Das Jagen der Tiere – im vergangenen Jahr wurden in Berlin gut 2000 Wildschweine geschossen – reiche nicht aus, um den Bestand wirksam zu reduzieren.

Dies liegt unter anderem daran, dass die Tiere sehr lernfähig sind. Im Osten Berlins verlief vor wenigen Tagen zum wiederholten Mal eine Jagd erfolglos. Statt vor den lärmenden Treibern zu flüchten, wählten die Wildschweine die Gegenrichtung – sie rannten auf die Treiber zu und von den Jägern weg. Auch scheinen sie vor den Jägern zunehmend aus dem Wald in die Stadt zu flüchten, sagt Ehlert. Und dabei tritt ein weiteres Problem auf: Laut Gesetz sind Wohngebiete ein befriedetes Gebiet, in dem die Jagd zu ruhen hat. Auf die Tiere schießen darf man hier nur im äußersten Notfall und wenn Menschen nicht gefährdet sind. So darf in Wohngebieten geschossen werden, um ein verletztes Tier zu erlösen. Statistisch gesehen wird in Berlin jeden Tag ein Wildschwein von einem Auto angefahren und schwer verletzt oder getötet.

Besonders problematisch findet der Jagdreferent der Senatsverwaltung, dass offenbar nicht wenige Berliner meinen, sich der Tiere annehmen zu müssen und diese gezielt zu füttern. Da sei es kein Wunder, dass die Wildschweine sich gut vermehren und überdies als übergewichtig gelten. Eine weitere Folge sei, dass die rund 100 Kilo schweren Borstentiere nicht selten erwartungsfroh auf Passanten zutraben und ihre Schnauzen neugierig in deren Einkaufstaschen stecken.

Auf der Suche nach natürlicher Nahrung machen die Wildschweine vor Parkanlagen ebenso wenig Halt wie vor Friedhöfen, Kleingärten oder gar Kinderspielplätzen. Die Gelände von Krankenhäusern, Schulen und Kindertagesstätten sind besonders beliebt, weil es dort meist keine Hunde gibt. Die Wildschweine sind intelligent, sagt Derk Ehlert, und lassen sich von übel riechenden Vergrämungsmitteln nicht abschrecken. Auch hätten sie gelernt, auf die Klinken von Friedhofstoren zu drücken. Den Schmerz bei der Berührung eines Elektrozaunes nähmen sie in Kauf, wenn sie ahnten, dass dahinter etwas Leckeres auf sie wartet. Dann durchpflügen die Tiere den Boden auf der Suche zum Beispiel nach Engerlingen.

Selbst die Zäune des Olympiastadions können die Wildschweine nicht abhalten, und so hat man dort große Mühe, sie vom Spielfeld fernzuhalten. Auch Wasser ist für sie kein Hindernis. Als sich kürzlich eine Horde im Strandbad Wannsee blicken ließ, warteten die Jäger vergeblich im Wald vor dem Eingang. Die Schweine hatten sich schwimmend über rund eineinhalb Kilometer zur Straße Am Großen Wannsee abgesetzt.

Vorsicht ist geboten, wenn es Nachwuchs gibt. Dann sollte man den Schweinen nicht zu nahe kommen oder sich gar zwischen Bache und Frischlinge drängen. „Von Natur aus sind die Wildschweine ansonsten nicht aggressiv“, sagt Ehlert. Dennoch sollte man ihnen Respekt entgegenbringen: „Es sind und bleiben Wildtiere, die bei Gefahr nicht so reagieren, wie wir es wollen.“ Wer in Wohngebieten auf eine Gruppe von Tieren stoße, solle sie nicht erschrecken, sondern durch lautes Sprechen auf sich aufmerksam machen. Dann registrierten die Schweine den Menschen und trollten sich, sagt der Jagdreferent. Auf keinen Fall solle man versuchen, nach einem Wildunfall ein verletztes Schwein zu berühren oder Tiere zu verfolgen. Werde ein Borstentier bedrängt oder verspüre es gar Todesangst, sei jede Annäherung lebensgefährlich.

Einen Anspruch auf Schadensersatz für die von Wildschweinen angerichteten Schäden gibt es nicht. Gartenbesitzer sollten die Tiere also durch feste Zäune oder lückenlos in den Boden eingelassene Gitter auf Abstand halten, sagt der Experte der Senatsverwaltung.

Auch in Brandenburg leiden Menschen unter den Borstentieren. So gibt es in Kleinmachnow und Potsdam immer mehr Eigenheimbesitzer, die Ausnahmegenehmigungen für den Abschuss beantragen. Insgesamt dürfen in der Mark in diesem Jagdjahr, also vom 1. April 2008 bis 31. März 2009, rund 65 000 Bachen, Keiler und Frischlinge geschossen werden.

Rainer W. During, Annette Kögel

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