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INTERVIEW: Buch-Autor Markus Breitscheidel über Krankenhäuser und Pflegeheime

Ein alter Mensch verschwindet und wird später tot aufgefunden, ein anderer stirbt an Verbrühungen. Überrascht Sie das?

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Ein alter Mensch verschwindet und wird später tot aufgefunden, ein anderer stirbt an Verbrühungen. Überrascht Sie das?

Mich überrascht nichts mehr. Ich habe zwei Jahre lang in verschiedenen Einrichtung gearbeitet, zeitweise alleine 26 Menschen betreut – ohne Ausbildung als Pflegekraft. Wenn über vier Tage nicht auffällt, dass ein Mensch fehlt, kann man sich vorstellen, was da für eine Hektik herrscht. Im Durchschnitt muss ein Pfleger 20 Patienten „abarbeiten“, wie es im Branchenjargon heißt.

Wie sieht das aus?

Um zehn Personen mit Mittagessen inklusive Getränk zu füttern, hat ein Pfleger 30 Minuten Zeit. Oder man lässt das Wasser in die Wanne ein, muss parallel einen anderen versorgen, und merkt nicht, dass das Wasser zu heiß ist. Zeit, es abkühlen zu lassen, hat man nicht. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat festgestellt, dass bundesweit täglich 300 000 Menschen unterversorgt sind. Das liegt nicht an sadistischen Pflegern, sondern an den Rahmenbedingungen. Es gibt eine humanitäre Katastrophe, die keiner wahrhaben will.

Wieso reichen die Besuche der staatlichen Heimaufsicht, der Prüfbehörde, nicht aus?

Auch sie sind chronisch unterbesetzt, zwei Bewohner pro Besuch, mehr können sie nicht begutachten. Oft wird die Krankenakte mehr auf Genauigkeit geprüft als der zu pflegende Mensch. Mein Hauptanliegen wäre, dass die Prüfbehörde unangemeldet kommt. Dekubitus, also wund gelegene Stellen, Vertrocknung, das ist an der Tagesordnung. Und eine Überdosierung an Medikamenten, mit denen die Bewohner ruhig gestellt werden sollen. Wer regelmäßig Psychopharmaka bekommt, bei dem verändert sich der Orientierungssinn, er verläuft sich leichter.

Und abgesehen von der Unterbesetzung?

Das Problem ist, dass heutige Heime meist im Krankenhausstil gebaut sind: lange Gänge, uniforme Zimmertüren, alles sieht gleich aus. Demenzkranke können sich so nur schwer orientieren.

Gibt es technische Möglichkeiten, die verhindern, dass Bewohner verschwinden?

In einigen Einrichtungen gibt es Sensoren mit optischen oder akustischen Signalen.

Markus Breitscheidel

arbeitete als Pfleger und schrieb darüber das Buch

„Abgezockt und totgepflegt“ (Ullstein).

Anne Haeming sprach mit ihm.

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