Brandenburg: Das Wittstock- Syndrom
Thorsten Metzner
Stand:
Mutig mutig, Generäle! Das Verteidigungsministerium hält am geplanten Bombenabwurfplatz in Wittstock fest. Die Nachricht überrascht: Die „starke Truppe“ (Eigenwerbung der Bundeswehr), die bereits eineinhalb Jahrzehnte vergeblich gegen die Bürgerinitiative „Freie Heide“ um das 144 Quadratkilometer große Areal auf halber Strecke zwischen Berlin und Hamburg kämpft, hat schon eine Niederlage nach der anderen kassiert. Aber Verteidigungsminister Franz Josef (CDU) lässt sich weder von 23 Gerichtspleiten, noch von eigenen Zweifeln beeindrucken, obwohl das jüngste Veto des Potsdamer Verwaltungsgerichts die Chance zum ehrenvollen Rückzug eröffnet hätte. Aber warum, um Himmels willen, wird jeder Verteidigungsminister trotz immer geringerer Erfolgsaussichten am Ende zum starrköpfigen Bombodrom-Streiter?
Das ist das kaum erklärbare Wittstock-Syndrom. Man muss Jung lassen, dass auch all seine Vorgänger seit 1990 das von Beginn an umstrittene Projekt durchgezogen haben, ob der Christdemokrat Volker Rühe oder auch Rudolf Scharping und Peter Struck, die beiden Verteidigungsminister mit SPD-Parteibuch. Mancher vergisst, dass selbst die rot-grünen Regierungen unter Gerhard Schröder – und seinem Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier – entgegen vorheriger Wahlkampfversprechen das frühere Sowjet-Bombodrom nicht beerdigten, was den Einspruch des heutigen Außenministers etwas relativiert.
Es gibt Argumente, die seit 15 Jahren unverdrossen ins Feld geführt werden: Das erste, die Tieffluglasten müssten gerechter zwischen dem Westen und dem Osten Deutschlands verteilt werden. Es zählt allerdings kaum noch, weil nur noch ein Bruchteil der Tiefflüge von einst geflogen wird. Die zweite Begründung, die auch Jung vorbringt, ist gewichtiger: Wittstock werde benötigt, um für wachsende internationale Aufgaben die Einsatzbereitschaft der Luftwaffe zu gewährleisten. Tatsächlich kann niemand ein Interesse haben, dass deutsche Tornado-Piloten ungeübt in lebensgefährliche Auslands-, in Kampfeinsätze geschickt werden. Allerdings: Die Luftwaffe übt nunmehr seit 15 Jahren – es geht auch ohne Wittstock.
Trotzdem noch ein gedankliches Experiment: Angenommen, die Bundeswehr hat Recht. Angenommen, dieser Luft-Boden-Übungsplatz, der der größte in Europa wäre, läge tatsächlich im übergeordneten Interesse der Bundesrepublik. In einem Rechtsstaat gilt immer noch das Gesetz, die Bundeswehr ist nicht die Rote Armee. Ein Bombenabwurfplatz ist nichts anderes als ein neuer Flughafen, eine Chemiefabrik, eine Umgehungsstraße. Wer so etwas will, muss die Planungs- und Genehmigungsverfahren seriös durchführen, Rücksicht auf Anrainer, auf Kommunen, die Umwelt nehmen. Genau das hat, wie ein Urteil nach dem anderen attestiert, die Bundeswehr im Fall Wittstock nicht oder kaum getan. Überhaupt wurden die Pläne immer erst auf Druck von Gerichten nachgebessert, und das mit einem erschreckenden Dilettantismus. Die Demarkationslinie, vor der man Planungsfehler noch hätte gerichtsfest reparieren können, dürfte längst überschritten sein. Man darf Wetten darauf abschließen, dass das auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) dem Verteidigungsministerium bescheinigen wird. Leider vergeht bis zu einem OVG-Urteil weitere Zeit, zu Lasten von wirtschaftlichen und touristischen Chancen dieser landschaftlich idyllischen Region zwischen Wittstock, Rheinsberg und der Müritzer Seenplatte. Und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) muss sich dazu den Vorwurf gefallen lassen, Steuergeld für das Wittstocker Bombodrom zu verschwenden.
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