Über die Sütterlin-Schrift: Der Schönschreiber aus Cottbus
Klaus-Dieter Stellmacher aus Cottbus liebt alte Handschriften und will sie vor dem Vergessen bewahren. Ein Besuch in seiner "Sütterlinstube".
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Cottbus - Federn, Tintenfässer, altes Papier: Das Arbeitszimmer von Klaus-Dieter Stellmacher gleicht einer Reise in die Vergangenheit. Der Cottbuser liebt alte Schriften. Seit vielen Jahren sammelt der 67-Jährige alte Dokumente und handgeschriebene Schriftstücke. Aus der ganzen Welt erreichen ihn Zuschriften und Anfragen – Stellmacher kann die alten Schriftzeichen schnell entziffern. Er überträgt sie in die heutige lateinische Schrift. Feldpostbriefe, Verträge und Tagebuchaufzeichnungen sind darunter. „Ich habe permanent zu tun“, sagt er.
Sütterlin ist eine deutsche Schreibschrift, die Anfang des 20. Jahrhunderts erfunden wurde. Schon zu DDR-Zeiten übertrug Stellmacher neben seiner Arbeit als Schwimmtrainer Briefe für andere Leute, berichtet er. Seine „Sütterlinstube“ richtete er in seinem Einfamilienhaus in einem Cottbuser Wohnviertel ein. „Die Schriften dürfen nicht in Vergessenheit geraten“, sagt der studierte Germanist und Sportwissenschaftler. Er gestaltet auch Einladungen, Urkunden oder Briefe in alten Schriftarten. Viele dieser Schriften sind schon Hunderte Jahre alt. Sie tragen Namen wie Unger-Fraktur, Weiß-Gotisch oder deutsche Kurrentschrift. Manche sind deutsche Schreibschriften, andere Druckschriften. Stellmacher digitalisiert auch alte Bleisatzschriften. „Die alten Schreibmeister“ nennt er die Schriftkünstler von früher liebevoll.
Hohe Nachfrage an Sütterlin-Schrift
Menschen, die die Sütterlin-Schreibschrift in die lateinische Schrift übertragen können, sind in Deutschland rar, wie der Verein Bund für deutsche Schrift und Sprache mitteilt. Unter anderen gebe es eine Gruppe in Hamburg und Experten zum Beispiel in Dresden und München. Immer häufiger erhielten sie Anfragen aus der ganzen Welt. „Die Nachfrage steigt enorm“, sagt der Vereinsvorsitzende Hanno Blohm. Häufig fragen demnach auch Schulklassen an, die das Lesen von alten Schriftarten üben wollen.
Derzeit wird zum Beispiel in Sachsen-Anhalt mit dem Verein ein Schulprojekt erarbeitet. Dabei sollen Schüler die Sütterlin-Schrift kennenlernen, um alte Familiendokumente lesen zu können. Und Martin Luther spielt auch eine Rolle. Laut dem Kultusministerium in Magdeburg wurde eine Originalhandschrift des Reformators aufbereitet, die die Schüler entziffern sollen. Das Schulprojekt ist voraussichtlich im Herbst startklar.
Ahnenforschung oder alte Kochbücher
Blohm sagt über die alten Schriften: „Wir wollen, dass die Menschen in Archiven stöbern und die deutschen Schriften lesen können.“ Dieses Anliegen hat auch Franz Neugebauer. Der 35-jährige Dresdner bietet Sütterlin-Schreibkurse im Dresdner Schulmuseum an. „Die Nachfrage steigt“, sagt er. Er nennt viele Motive, warum die Leute kommen: Sie wollen Ahnenforschung betreiben. Oder alte Kochbücher lesen können. Manche sähen es auch einfach als wichtiges Kulturgut an, wie Neugebauer ergänzt.
Zurück in der Sütterlinstube in Cottbus: Stellmacher nimmt eine Zeitung in die Hand und tippt immer wieder darauf. Er bemängelt, dass Schreibschrift im Alltag Stück für Stück verschwinde. „Eine Schriftart sollte stets zum jeweiligen Text passen“, sagt er. „Das hat etwas mit ästhetischer Bildung zu tun. Form und Inhalt müssen in Einklang miteinander stehen.“ Dann kramt er aus einer Schublade ein Gedicht über den Sommer hervor. Die Buchstaben sind geschwungen und wirken zart. „So passt das gut zusammen“, meint Stellmacher.
"Fernruf" statt "Telefon"
Er gebraucht gerne auch antiquierte Wörter. Auf seiner Visitenkarte zum Beispiel steht statt „Telefon“ „Fernruf“. Er arbeite auch mit mehreren Schulen zusammen, erzählt Stellmacher. Dann gibt er gerne mal den „Oberlehrer“ aus einer anderen Zeit, wie er über sich selbst sagt und dabei schmunzelt. (dpa)
Anna Ringle
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