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INTERVIEW: „Die Überlebenden würden sich ein Gedenken wünschen“

Herr Rahe, in welchem Zustand kamen die jüdischen Häftlinge am 23. April 1945 im südbrandenburgischen Tröbitz an?

Stand:

Herr Rahe, in welchem Zustand kamen die jüdischen Häftlinge am 23. April 1945 im südbrandenburgischen Tröbitz an?

Die Zustände in dem Zug waren mehr als schlecht. Die sanitären Bedingungen waren katastrophal, Typhus und Tuberkulose breiteten sich aus. Die Insassen waren ja schon vor dem Transport geschwächt. Zwar waren sie sogenannte Austauschjuden – also Juden mit der Staatsbürgerschaft verfeindeter Nationen, die von den Nationalsozialisten als Geiseln gefangen gehalten wurden. Aber die gegenüber anderen Konzentrationslagern geringfügig bessere Behandlung, die sie anfangs im Austauschlager Bergen-Belsen genossen haben, hatte sich um diese Zeit schon lange nivelliert. Auch im Austauschlager stieg die Todesrate ab 1944 dramatisch an.

Wie wurden die befreiten Häftlinge in Tröbitz empfangen?

Nicht nur für die Häftlinge, auch für die Tröbitzer war die Situation damals sehr schwierig. Die Juden wurden mangels Alternativen in den Privathäusern einquartiert. Manche Häuser standen leer, weil die Bewohner aus Angst vor den Sowjets geflohen waren, aber die anderen mussten zum Beispiel bei Verwandten unterkommen. Manche wurden zwangsverpflichtet, die Kranken zu waschen und zu desinfizieren, wobei sich manche auch freiwillig meldeten.

Wundert Sie es, dass etwa der Tod von 26 Tröbitzern, die sich damals an Typhus angesteckt hatten, bis heute ein wunder Punkt für manche im Ort ist?

Dass die Tröbitzer das bis heute zwiespältig sehen, ist klar. Schließlich mussten sie leiden, obwohl sie keine direkte Schuld hatten. Den Juden wird zum Beispiel auch vorgeworfen, dass sie Schwarzmarkt betrieben. Übrigens ein typisches antisemitisches Vorurteil - dass es dafür auch deutsche Käufer brauchte, wird oft ignoriert.

Halten Sie die Gedenksteine, die heute in Tröbitz an die Ereignisse von damals erinnern, für ausreichend?

Die Überlebenden würden sich natürlich wünschen, dass es ein Gedenken über die reine Friedhofsgestaltung hinaus gibt. Es ist natürlich immer eine Frage, wie viel man sich leistet. Aber man ist das Gedenken ja nicht nur den Opfern schuldig, sondern auch den nachwachsenden Generationen. In der Gedenkstätte Bergen-Belsen haben wir 1000 Führungen pro Jahr und wir stellen fest, dass man die Geschichte jeder Schülergeneration neu beibringen muss. Das geht an einem authentischen Ort natürlich besser als im Unterricht, wo der Holocaust in einer Reihe mit Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg steht.

Was wäre der Vorteil einer neuen Ausstellung, wie die Tröbitzer sie sich wünschen?

In eine neue Ausstellung könnten neue Erkenntnisse und Quellen einfließen, da gibt es durchaus Potenzial. Wir haben seit 1999 Videointerviews mit Überlebenden geführt, die sind alle digital und stehen im Prinzip zur Verfügung.

Das Interview führte Katharina Wiechers

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