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Glücklich. Rigo B. (rechts) und Yunus K. können sich freuen. Am Donnerstag sprach sie das Landgericht Berlin vom Vorwurf des versuchten Mordes frei. Die heute 20 und 17 Jahre alten Berliner saßen mehr als sieben Monate in Untersuchungshaft.

© Robert Schlesinger/dpa

Von Kerstin Gehrke: Ein Freispruch und viele offene Fragen

Berliner Maikrawalle: Richterin sieht keine sicheren Beweise

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Berlin - Ein kurzer Applaus, strahlende Gesichter, Tränen aus Freude und Erleichterung: Reaktionen auf den Freispruch vom Vorwurf des versuchten Mordes für Rigo B. und Yunus K., die siebeneinhalb Monate als mutmaßliche Berliner Mai-Randalierer in Untersuchungshaft saßen. Als die Richterin am Donnerstag in Berlin das Urteil verkündete, wurde die Stimmung noch einmal emotional. Am Ende waren die Angeklagten, ihre Verteidiger, Familien und Freunde aber auch enttäuscht. „Ich habe gehofft, dass auch klar gesagt wird: ,Hier sind die Falschen angeklagt worden’“, kritisierte Yunus K.

Es war ein Freispruch „zweiter Klasse“. Nicht von der Unschuld der Jugendlichen war die Rede, sondern von Zweifeln. Dass es tatsächlich die 17 und 20 Jahre alten Angeklagten waren, die bei den Ausschreitungen am 1. Mai 2009 in Berlin einen Molotowcocktail in Richtung Polizei warfen, habe sich „nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit nachweisen lassen“, sagte Richterin Petra Müller. Es sei „nicht sicher auszuschließen“, dass sie mit den wahren Tätern verwechselt wurden. Freispruch nach dem Grundsatz: Im Zweifel für die Angeklagten. „Wir sind frei. Das ist das Wichtigste“, sagte Rigo B. beim Verlassen des Saales. Aber er sei auch enttäuscht, dass Fehler einfach nicht zugegeben würden.

Die beiden Waldorfschüler sind froh und wirkten doch müde. „So lange zu Unrecht weggeknastet“, sagte der ältere Yunus. Sie, die neugierig auf das Geschehen am 1. Mai waren und deshalb nach Kreuzberg fuhren, flüchteten am Abend vor Steinen. Yunus K. stand unter Bewährung – als Mai-Randalierer aus dem Jahr 2007. Er habe sich extra etwas fern gehalten vom Zug der Demonstranten, sagte er im Prozess. Sie hätten sich schließlich an einem Automaten Geld holen wollen, als sie von Polizisten festgenommen wurden. Man warf ihnen eine Attacke mit einer gemeingefährlichen Brandflasche vor. Benzin tropfte auf den Rücken einer Passantin. Die 28-Jährige brannte lichterloh und erlitt schwere Verbrennungen.

Es wurde Haftbefehl erlassen – und es wurde ein Pilotverfahren. Erstmals erhob die Staatsanwaltschaft gegen einen mutmaßlichen Mai-Randalierer Anklage wegen versuchten Mordes. Die Verteidiger liefen von Anfang an Sturm. Objektive Beweise gab es nicht. Das T-Shirt von Rigo B. wurde nicht einmal auf Benzin untersucht. Gummihandschuhe, die bei der Festnahme in der Nähe von B. lagen, wurden ihm zunächst zugeordnet. Ein Fehler, räumte ein paar Tage später ein Polizist ein. Es änderte nichts.

Die Verteidiger gingen immer von einer Verwechslung aus, stützten sich auf Fotos, die ein Filmstudent gemacht hatte. Eine Vierergruppe ist zu sehen – für die Anwälte die wahren Täter. Einer der jungen Männer ist ähnlich gekleidet, wie Rigo B. am 1. Mai. Die Studenten hatten die Aufnahmen sofort der Polizei übergeben. Zu den Akten aber gelangten die Bilder erst Ende Juni. Da hatte die Staatsanwaltschaft bereits Anklage erhoben. Für das Gericht kein Punkt, der zu beanstanden wäre. „Die Fotos waren keine objektiven Beweismittel, die die Angeklagten entlasteten“, sagte Richterin Müller nun. Es habe insgesamt bei den Ermittlungen „keine Verzögerungen zu Lasten der Angeklagten“ gegeben. Es sei nicht um einen Fahndungserfolg um jeden Preis gegangen und es seien keine entlastenden Beweise wochenlang zurückgehalten worden.

Am 17. Dezember waren Rigo B. und Yunus K. überraschend freigekommen. Was zu der Wende führte, war für Prozessbeobachter nicht nachzuvollziehen. Auch im Urteil blieb offen, warum erst siebeneinhalb Monate vergehen mussten, bevor eine Verwechslung nicht ausgeschlossen wurde. „Wenn man dem Gericht folgt, hätte das Verfahren nie eröffnet werden dürfen“, sagte Rechtsanwältin Christina Clemm nach dem Urteil. Die Staatsanwaltschaft, die Haftstrafen von drei Jahren und neun Monaten sowie vier Jahren und neun Monaten beantragt hatte, wird voraussichtlich Rechtsmittel einlegen.

Kerstin Gehrke

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