SERIE: Ein Ort macht sich aus dem Staub
Premnitz stand lange Zeit nur für das Chemiewerk. Nun bringt die Bahn einen zur grünen Promenade
Stand:
HEUTE:
PREMNITZ
Bereits erschienen:
26. April
Folge 1: Die fünf Orte
28. April
Folge 2: Brandenburg
Die nächsten Folgen:
8. Mai
Folge 4: Rathenow
12. Mai
Folge 5: Stölln
15. Mai
Folge 6: Havelberg
Um ein Haar hätte es das einzige Wahrzeichen der Kleinstadt Premnitz erwischt: ein lauter Knall – und Ende. Die Sprengkommandos und Bagger waren schon im Anmarsch, das Schicksal der fast 100 Jahre alten Steinbogenbrücke schien besiegelt. Doch einige engagierte Einwohner konnten die Arbeiten aufhalten, sie appellierten ans Geschichtsbewusstsein. Damit begann in der Stadt ein in der Abriss-Euphorie der Nachwendejahre fast nicht für möglich gehaltenes Umdenken. Die Brücke von 1918 blieb stehen, obwohl sie ihre Funktion längst verloren hatte und von den meisten als unansehnlich, nutzlos und Zeichen einer alten Zeit betrachtet wurde. Heute schmückt der von Fußgängern begehbare steinerne Koloss sogar das Stadtwappen. Niemand in der Stadt, die mit nur 7000 Einwohnern ein eher ungewöhnlicher Buga-Standort ist, möchte das Wahrzeichen missen.
„Zum Bummeln oder Spazieren ist bisher tatsächlich niemand nach Premnitz gekommen“, gibt auch Bürgermeister Roy Wallenta zu. „Mit unserer Stadt verbanden die Menschen von außerhalb eher Chemie, die bis 1990 auch recht übel roch.“ Selbst die Havel sei hinter viel Gestrüpp und unansehnlichen Baracken regelrecht versteckt gewesen. Erst in jüngster Zeit hätten die Einwohner den „zauberhaften Fluss“ wieder für sich entdeckt und dessen Wert erkannt. Heute könne sich kaum jemand den alten Zustand vorstellen.
Dank der Buga sei jetzt eine Uferpromenade entstanden, die diesen Namen auch verdiene. Auf der mehr als der doppelt so großen Fläche breite sie sich jetzt direkt vor der südlichen Stadtgrenze aus. „Und natürlich ist sie jetzt viel schöner, bunter und vielfältiger“, gerät der Bürgermeister regelrecht ins Schwärmen. „Allein unser Band der Spiele ist ein Paradies für Kinder, für ihre Eltern und Großeltern.“
Ein beachtlicher Teil der Besucher kommt auf dem Wasserweg nach Premnitz. Im kleinen Sportboothafen, an der Kaimauer oder am flachen Ufer liegen Freizeitboote aller Größen, gut ausgestattete Flöße, Paddelboote sowie überaus komfortable Bungalowboote, die aus einer gut durchdachten Kombination zwischen Wohnwagen und Schiff bestehen.
Kaum ein Besucher, der heute erwartungsfroh entweder vom Land oder vom Wasser aus das Buga-Areal betritt, ahnt etwas von der einst von Staub, Schmutz und Lärm geprägten Vergangenheit des Havelufers. Denn hier wurden bis in die 1960er Jahre hinein Unmengen von Kohle und andere Güter von Schiffen auf eine Werkeisenbahn umgeladen, die Züge fuhren quer durchs Stadtzentrum und über die besagte Steinbogenbrücke bis ins Chemiewerk.
Das Werk besteht seit genau 100 Jahren und war mit einem eigenen Kohlekraftwerk ausgestattet. Auf der kurzen Strecke herrschte stets ein reger Verkehr. Erst die Verlagerung des Hafens ein Stück flussabwärts nach Döberitz machte diese Werkbahn und mit ihr die Brücke nutzlos. Nach und nach verschwanden die Gleise und schon damals sollte auch die Brücke fallen. Doch sie blieb aus einem ganz praktischen Grund an Ort und Stelle. Fußgänger und Radfahrer nutzten sie, um die viel befahrene Eisenbahnstrecke zwischen Premnitz und Rathenow zu überqueren. „Die Schranken waren mehr zu als auf“, heißt es von alten Premnitzern. „Ohne die Brücke wäre wohl so mancher Arbeiter zu spät am Werktor erschienen.“
Tatsächlich strömten bis zu den Umbrüchen nach der Wende täglich rund 6500 Beschäftigte ins Werk, das die DDR-Chemiefasern wie Wolpryla oder Dederon herstellte. Heute gibt es auf dem riesigen Betriebsgelände rund um den begehbaren Wasserturm noch etwa 1500 Arbeitsplätze. Die Einwohnerzahl sank in den vergangenen 25 Jahren von 11 000 auf jetzt nur noch 7000 Menschen. Vergessen sind auch die Wartezeiten an der Schranke, der Eisenbahnverkehr zwischen Brandenburg (Havel), Premnitz und Rathenow hat sich erheblich verringert.
Als Zubringer für die Buga-Besucher zu diesen drei von insgesamt fünf Standorten erweist sich die Bahnlinie als ideales Verkehrsmittel. Vom Bahnhaltepunkt Premnitz-Zentrum erblickt der Besucher gleich die Steinbogenbrücke und fällt dann in den „Grünzug“ getauften Buga-Bereich. Der Name untertreibt gehörig. Es ist eher eine grüne Entdeckermeile mit einer Uferpromenade als Höhepunkt. Hier erlaubt zudem eine Aussichtsplattform schöne Einblicke in die Welt der Wasservögel auf dem gegenüberliegenden Havelufer. Und mit den kostenlos nutzbaren Fernrohren lassen sich Störche, Reiher, Gänse, Enten und allerlei andere Tiere des Havellandes entdecken.
Claus-Dieter Steyer (Text), Kitty Kleist-Heinrich (Fotos)
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: