Von Christian van Lessen: Eine Brise zuviel
Die Philharmonie ist ein achitektonisches Meisterwerk, das aber auch so seine Tücken hat. Karajan klagte über Zugluft
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Es gibt Leute, die sind enttäuscht, weil sie so wenig von dem sehen, was das Großfeuer angerichtet hat. Noch drei Tage nach dem Brand pilgern Touristen und Berliner zum Unfallort, um das berühmte Dach und seine verkohlten Reste zu sehen. Eine traurige Attraktion. Sie wundern sich, dass die Zerstörung, vom Potsdamer Platz aus gesehen, so unsichtbar ist. Auf die Perspektive kommt es an. Der Kemperplatz ist besserer Aussichtspunkt. Ortskundige empfehlen sich als Wegweiser. Am Sony-Center, gegenüber dem Musikinstrumentenmuseum, stehen Neugierige einzeln, in Gruppen, diskutieren, fotografieren und filmen. Die Gesichter sind gespannt, bestürzt: Die verkohlte schiefe Ebene des Daches, die schwarze Schutthalde, wirkt wie eine offene Wunde– faszinierend scheußlich.
Aber leicht heilbar: Hans Scharoun hat das Haus Anfang der sechziger Jahre so konzipiert, dass ein Dachbrand verhältnismäßig wenig Schaden anrichtet. Die listige Betonkonstruktion schützt das sensible Innenleben des Hauses, Scharouns Meisterleistung wird dieser Tage gern gerühmt. Die Philharmonie, ein architektonischer Geistesblitz, hatte aber im Lauf ihrer Jahrzehnte durchaus ihre Tücken. Noch vier Jahre nach der Eröffnung war die Mikrofon- und Lautsprecheranlage nicht in Ordnung: Hildegard Knef, die Ofarims, Udo Jürgens, Charles Aznavour, Juliette Greco oder Sammy Davis jr. klangen nicht so, wie sie sangen. Die Stimmen wirkten geradezu verfremdet.
Dann die Sache mit der Zugluft: Das war zu Beginn der siebziger Jahre, Orchestermitglieder sahen sich gesundheitlich gefährdet. Natürlich litt auch Herbert von Karajan unter der kühlen Brise, wie das Publikum. Das lag auch daran, dass die von Scharoun geplante Fassadenverkleidung aus Kostengründen beim Bau eingespart, dafür rustikaler Sichtbeton angestrichen worden war. Immer wieder wurden neue Fassadenplatten in Aussicht gestellt, Anfang der achtziger Jahre waren sie fertig, honiggolden schimmerten sie, die Betonwand dahinter erhielt eine Wärmedämmung mit Rohren für die Beregnungsanlage. Die Klassenlotterie gab sechs Millionen D-Mark.
Wenig später wurde die auf dem Beton liegende Dachhaut erneuert, bekam ein „hinterlüftetes Dach“. Die Lüftung bekam ihm jetzt nicht.
Vor zwanzig Jahren stürzte Deckenputz in den Innenraum der Philharmonie, Konzerte mussten abgesagt werden, der Schadenwurde für 20 000 D-Mark repariert, aber zwei Monate später fiel wieder Putz von der Rabitzdecke. Sicherheitsnetze mussten gespannt werden, was auch fast 300 000 D–Mark kostete. Der frühere Mitarbeiter von Hans Scharoun, Edgar Wisniewski, sprach von einer „Verschandelung“. Dann stand die Asbest-Sanierung an, Spritzasbest war im Foyer verwendet worden. Rund 30 Millionen D-Mark waren für komplette Deckenerneuerung und Asbestbeseitigung veranschlagt. Es gab eine heftige öffentliche Diskussion über die Art der künftigen Decke, ein öffentliches Hearing, Kritiker sahen die Akustik gefährdet, es ging um Sanierung oder Erneuerung, der Senat wählte Letzteres.
Nach 14-monatiger Generalüberholung – das Innere des Hauses war voller Gerüste und sah aus wie eine Großbaustelle – war die Philharmonie 1992 wieder spielbereit, die neue Saaldecke sah aus wie die alte und die Musik hörte sich auch gut an, auch wenn Kritiker anfangs eine „Betonakustik“ herausgehört haben wollten. Alles kostete dann erwartungsgemäß viel mehr als ursprünglich geplant, nämlich 45 Millionen D-Mark.
Betrachter, die jetzt auch an der Fassade des Hauses nach Brandspuren suchen, finden keine Anhaltspunkte, weil das Alublech mit glasfaserverstärkten Polyesterharz-Platten als schwer entflammbar gilt. Jedes Element ist nahezu luftdicht abgeschlossen. Die damalige Bundesanstalt für Materialprüfung prüfte die Fassade in einem aufwendigen Verfahren, und Sorgen machte man sich damals fast weniger vor Feuer als vor dem Alterungsprozess. Ein Test ergab Anfang der achtziger Jahre, dass der Farbeffekt erst in mindestens zehn Jahren dem vom Hans Scharoun gewünschten Schimmer entsprechen dürfte und dann auch seine erhoffte Patina erhalte.
Nur das Dach konnte die Erwartungen auf einen normalen Alterungsprozess nicht erfüllen. Es ist nun schwer beschädigt, ein schwarzes Loch. Aber die Wunde wird heilen, schon von der nächsten Woche an. Auch die Reparaturarbeiten dürften die Philharmonie zur Attraktion machen.
Christian van Lessen
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