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Von Daniel Preikschat: Eine Stadt gegen ihren Bürgermeister

Seit anderthalb Jahren versucht Welzow, den Rathauschef loszuwerden. Bislang vergeblich

Stand:

Welzow - Der Zorn ist groß in Welzow. Rund 400 Demonstranten – das ist etwa jeder zehnte Bewohner des Städtchens im Lausitzer Kohlenrevier – haben Bürgermeister Reiner Jestel (parteilos) am Mittwochabend aufgefordert, seinen Stuhl zu räumen. Sie wollen keinen „Stasi-Bürgermeister“, der sich zudem als inkompetent im Amt erweise. Das forderten die Leute – und das fordern sie schon seit Jahren. Doch sie wurden Reiner Jestel nicht los.

Zuerst hatten die Stadtverordneten ihren 2003 von den Bürgern gewählten hauptamtlichen Bürgermeister im Jahr 2007 beurlaubt. Er sei von seinen Aufgaben überfordert, möglicherweise aufgrund seiner Diabetes. Ein amtsärztliches Gutachten lieferte den Hebel; Jestels Stellvertreter, Hauptamsleiter Detlef Pusch wurde amtierender Rathaus- Chef. Doch auch Pusch hatte Feinde in Welzow. Kaum hatte er seine neue Aufgabe übernommen, wollten die CDU-Abgeordneten in der Stadtverordnetenversammlung, wissen, ob er mit der Stasi zusammengearbeitet habe. Sie fragten allerdings nicht ihn, sondern hinter seinem Rücken die Birthler-Behörde. Diese verweigerte zunächst die Auskunft. In Welzow aber machte das Anfrage der CDU die Runde. Im Rathaus schlugen die Wellen hoch – und am Ende einigten sich die Stadtverordneten darauf, nun alle Abgeordneten auf IM-Tätigkeit überprüfen zu lassen, darunter auch Reiner Jestel.

Und von diesem – und nur von diesem – fand sich dann auch eine IM-Akte. Acht Jahre lang soll Jestel für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gearbeitet haben, nachdem er 1977 beim Fotografieren des Militärflugplatzes in Welzow von einem anderen IM beobachtet worden war. Als „Wiedergutmachung“ bot ihm die Stasi die Spitzeldienste an. „Damals herrschte kalter Krieg“, verteidigt sich Jestel, „ich musste mitmachen“. Stasi-Forscher weisen allerdings darauf hin, dass sich gerade erpresste IMs in der Regel ziemlich bald als initiativarm, unzuverlässig und wenig termintreu erwiesen. In der Beschreibung seiner Führungsoffiziere war Jestel das Gegenteil. Er stieg sogar zum „Mitarbeiter mit Feindberührung“ (IMB) auf.

Die Welzower Stadtverordneten wollten nun – den ja nur beurlaubten – Jestel endgültig loswerden. Sie nahmen seine Ernennung zurück. Begründung: Er habe die Gemeinde arglistig über seine Stasi-Verstrickungen getäuscht.

Jestel zog vor Gericht – und gut anderthalb Jahre später, nämlich vor knapp zwei Wochen, wieder ins Rathaus ein. Das Verwaltungsgericht Cottbus hatte seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Rücknahme seiner Ernennung stattgegeben. Zur Begründung hieß es, die Rücknahmeverfügung sei rechtswidrig. Jestel habe die Stadt Welzow über seine Stasi-Verstrickungen nicht arglistig getäuscht. Denn die Stadt habe vor der Ernennung gar nicht nach einer Zusammenarbeit mit dem MfS gefragt. Und der Bürgermeister sei damals auch nicht verpflichtet gewesen, von sich aus über diesen Pakt seiner Vergangenheit Auskunft zu geben.

Dass er zuvor als Stadtverordneter seine IM-Tätigkeit in einer schriftlichen Erklärung geleugnet hatte, spielte für die Verwaltungsjuristen keine Rolle. Entscheidend sie sei Verhalten als Wahlbeamter. Auch auf den Aspekt der eingeschränkten Gesundheit könne sich die Stadt nicht berufen, erklärten die Richter. Die Frage einer gesundheitlichen Eignung nach einer direkten Wahl eines Bürgermeisters unterliege keiner Prüfung durch die Ernennungsbehörde.

Kaum war Jestel zurück im Amt, beurlaubte er seinen Stellvertreter Detlef Pusch – mit dessen Arbeit die Stadtverordneten eigentlich recht zufrieden waren. Und wenige Tage später kündigte er ihm sogar – was die Welzower so empörte, dass sie die spontane Demonstration am Mittwochabend organisierten.

„Sie sind zu Unrecht Bürgermeister!“ riefen sie, und: „Herr Jestel, wann treten sie zurück?“ Einer sagte: „Kompetenz hat er nicht, aber schnüffeln, das kann er.“ Unter den Demonstranten, still, stand auch Detlef Pusch .

Doch in der Sitzung der Stadtverordneten dann wurde deutlich, dass sie gegen Reiner Jestel keine juristischen Schritte mehr unternehmen wollen. Sie setzen jetzt auf seine Abwahl im Zuge eines Bürgerbegehrens. Am 22. Dezember soll der Beschluss gefasst, spätestens am 22. Februar 2009 könnte Jestel wirklich abgewählt werden.

Der aber zeigte sich von dem Protest gegen ihn ganz unbeeindruckt. Auch er will Bürgerbegehren zur Abwahl abwarten.

Daniel Preikschat

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