Brandenburg: „Erst nur geguckt und dann doch gekommen“ Lago-Chefin Thielking-Wagner über Lücken bei der Nachsorge und Berührungsängste bei Männern
Frau Thielking-Wagner, der Potsdamer Krebsspezialist Maschmeyer kritisiert, dass es auf dem Land kaum Nachsorgeangebote für Krebspatienten gibt. Ist das so?
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Frau Thielking-Wagner, der Potsdamer Krebsspezialist Maschmeyer kritisiert, dass es auf dem Land kaum Nachsorgeangebote für Krebspatienten gibt. Ist das so?
Tatsächlich haben wir in der psychosozialen Nachsorge ein Problem. 2009 haben wir dazu eine Erhebung gemacht und festgestellt, dass es zu wenige auf Krebs spezialisierte Beratungen gibt. Daraufhin haben wir von der Landesregierung den Auftrag bekommen, uns um das Problem zu kümmern, insbesondere, was die Qualifizierung des Personals anbetrifft. Sowohl bei denen, die die Patienten professionell betreuen, als auch bei den Ehrenamtlichen. Speziell die Selbsthilfegruppen sind ja eine sehr wichtige Säule der Versorgung. Sie sollen und können natürlich die professionelle Hilfe nicht ersetzen.
Was machen Sie?
Wir haben ein Seminar auf den Weg gebracht, mit dem wir Psycho-Onkologen weiterbilden. Die sind allerdings nur zum Teil in der ambulanten Versorgung tätig und lassen sich mehrheitlich für die Arbeit in einem Krebszentrum qualifizieren. Aber es gibt auch niedergelassene Psychotherapeuten, die sich in den Kursen weiterbilden lassen. Momentan läuft gerade der erste Jahrgang. Für Selbsthilfegruppen haben wir eine Fortbildungsreihe, oder besser eine Seminarreihe, entwickelt, die wir hoffentlich ab dem kommenden Jahr anbieten können. Alle Patienten, die das möchten, können teilnehmen. Das Angebot umfasst fünf Module. Dort erfährt man unter anderem, wie eine Selbsthilfegruppe aufbaut wird und was alles dazugehört. Ein Problem ist aber noch die Finanzierung. Wir hoffen, dass uns die Krankenkassen unterstützen. Das wird aktuell geprüft. Allerdings haben wir bereits ein positives Signal bekommen.
Wo sollen diese Kurse stattfinden?
Unsere Geschäftsstelle ist zwar in Potsdam, aber angeboten werden sollen die Seminare landesweit. Wir arbeiten dabei mit den onkologischen Zentren zusammen. Die Kurse soll es also auch in Cottbus, Frankfurt, Neuruppin und Schwedt geben. Es kann aber auch Senftenberg oder Perleberg sein - je nach Bedarf.
Vor allem auf dem Land sind die Wege weit. Sind die Kinder vielleicht auch noch weggezogen, sind besonders ältere kranke Menschen oft auf sich gestellt. Wie wird ihnen geholfen?
Gerade für Schwerstkranke und Sterbende, die in ihrer gewohnten Umgebung bleiben wollen, haben wir eine ganze Menge gemacht. Da gibt es jetzt zum Beispiel die spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Dabei handelt es sich um sogenannte Palliativ-Care-Teams. Die sitzen an mehreren Orten landesweit und haben jeweils einen bestimmten Radius, innerhalb dessen sie sich um die Betroffenen zuhause kümmern. Die Strukturen sind bereits ganz gut ausgebaut. Allerdings kommt es immer wieder auch vor, dass Angehörige außerhalb eines Einzugsgebietes anrufen und sagen, sie brauchen auch einen Pflegedienst. Das ist aber leider von den Teams nicht zu leisten. Dann unterstützen wir dabei, eine passende Einrichtung zu finden. Derzeit sind es landesweit zehn Teams.
Die Diagnose Krebs bedeutet in der Regel einen tiefen Einschnitt in das Leben. Worauf kommt es den Patienten in dieser Situation an?
Ganz wichtig ist Vertrauen. Wir helfen den Betroffenen dabei, dieses Vertrauen zu finden und die Wege im onkologischen Versorgungsdschungel zu ebnen. Wir kriegen öfter einmal Anrufe, in denen Patienten fragen: Gibt es hier überhaupt irgendwo Psychologen? Oder einen Schmerztherapeuten? Dabei äußern sie zudem oft ihre Probleme, sagen etwa: Ach, ich fühle mich so alleine. Viele kommen einfach psychisch mit der ganzen Sache nicht klar. Dafür haben wir dann die passenden Broschüren oder Adressen - egal ob Selbsthilfegruppen oder Sportangebote für die Zeit nach der Behandlung.
Welche Rolle spielt die Einsamkeit?
Einsamkeit ist ein großes Thema. Gerade weil Krebs in unserer Gesellschaft kein Lieblingsthema ist. Die, die Krebs haben, kommunizieren das nicht immer ganz offen und viele ziehen sich zurück. Man merkt immer wieder, dass es im sozialen Umfeld Verschiebungen gibt. Diese Menschen erleben wir als sehr dankbar, weil wir ein Ohr für sie haben.
Sie bieten auch Beratungsgespräche auf Russisch an. Wieso?
Gerade in Potsdam haben wir viele russischsprachige Menschen. Wir haben in der Geschäftsstelle eine Mitarbeiterin, deren Muttersprache Russisch ist. Von ihr und einer Kollegin, die in diesem Bereich forscht, wissen wir, dass es für Russen kaum Angebote gibt und sie wegen der Sprachhürde nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Außerdem haben wir mal einen Anruf aus Bonn bekommen, nachdem wir unseren Flyer „Ihre Rechte“ in Deutsch, Englisch und Russisch herausgegeben hatten. Den haben sie wohl im Internet gefunden. Die Anrufer gaben uns den Hinweis, dass es auch deutschlandweit kaum Angebote auf Russisch gibt. Da haben wir die Chance genutzt und eine telefonische Beratung auf Russisch eingerichtet. Unsere Kollegin ist hierfür weitergebildet. Die Anrufe kommen mittlerweile auch aus anderen Bundesländern, kürzlich erst aus Hessen.
Wo wir gerade beim Thema Hürden sind. Wer geht offener mit dem Thema Krebs um - Männer oder Frauen?
Ganz klar Frauen. Etwa 80 Prozent der Betroffenen oder sogar noch mehr, die sich bei uns melden, sind Frauen. Das sehen Sie auch an den Zahlen der Vorsorgeuntersuchungen.
Professor Maschmeyer sieht in der geringen Hausarztdichte auf dem Land einen wichtigen Faktor für eine oft sehr späte Krebsdiagnose. Welche Bedeutung hat dabei das Thema Angst?
Angst ist ein ganz großer Faktor. Umso wichtiger ist es, dass die Aufklärung auch so stattfindet, dass Ängste genommen werden können. Da muss man zielgruppenspezifisch vorgehen. Bei unserer Kampagne „Brandenburg gegen Darmkrebs“ haben wir versucht, gerade für Männer das Thema auf eine witzige Art anzugehen. Zum Beispiel indem wir bewusst mit Klischees gearbeitet haben und mit kernigen Sprüchen wie „Hose runterlassen für einen guten Zweck“ gearbeitet haben oder vor Baumärkte oder Fußballplätze gegangen sind. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele erst nur dastanden und guckten, einige dann aber tatsächlich doch gekommen sind.
Das Gespräch führte Matthias Matern
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