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Eichenprozessionsspinner: Forstexperte: Rot-Rot agiert planlos
Es gibt harsche Kritik am Umgang der Landesregierung mit der Eichenprozessionsspinner-Plage. Die Zahl der Erkrankten ist in den vergangenen Wochen dramatisch gestiegen.
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Potsdam - Jede Menge Nerven und Euros hat die diesjährige Plage Jutta Erb-Rogg bereits gekostet. Viermal hat die Leiterin des Bornstedter Friedhofs in Potsdam bereits eine Spezialfirma kommen lassen, die die Raupennester aus den Ästen und von den Stämmen der befallenen Eichen abgesaugt hat. Insgesamt 6500 Euro hat ihr Kampf gegen die haarigen Raupen des Eichenprozessionsspinners bislang gekostet. „Bei einer Kollegin von mir aus Neuruppin sollen es sogar 16 000 Euro gewesen sein“, erzählt die Friedhofschefin. Weil es sich aus ihrer Sicht nicht nur um ein lokales Problem handelt, hat sich Erb-Rogg in ihrer Not an das Land gewendet, doch das Ergebnis war ernüchternd: „Jedes Ministerium wurschtelt so vor sich hin. Die ganze Bekämpfung ist unkoordiniert“, bemängelt Erb-Rogg.
Mit ihrer Kritik am Krisenmanagement der Landesregierung ist die Friedhofschefin nicht allein. Zwar ließ sich das Landwirtschaftsministerium im Frühjahr wie berichtet die Bekämpfung der giftigen Raupen aus der Luft mit dem für den Menschen ungefährlichen Mittel Dipel ES vom Bund genehmigen, besprüht wurden aber unter der Maßgabe des Pflanzenschutzes fast nur Waldgebiete. Beim Vorgehen gegen den Massenbefall innerorts sind die Kommunen aber auf sich gestellt. Weil es jedoch für Siedlungsgebiete kein zulässiges Schädlingsbekämpfungsmittel gibt, das man von oben versprühen könnte, bleibt nur die deutlich teurere und weniger effektive Behandlung vom Boden aus. Kostet das Ausbringen von Dipel ES vom Helikopter aus nach Angaben des Agrarministeriums etwa 225 Euro pro Hektar, so zahle man für Einzelmaßnahmen am Boden schon mal bis zu 1000 Euro pro Eiche.
Dabei sei die Gefahr groß, dass sich die Raupen, deren Haare bei Menschen zu schwersten allergischen Reaktionen führen können, von benachbarten, unbehandelten Bäumen aus ihre alten Domizile zurückerobern, meint Thomas Meyer, Forstsachverständiger aus Paulinenaue (Havelland). „Ich habe Befallsflächen gesehen, da wurde zwar an der Landstraße gesprüht, direkt daneben im Wald aber nicht. Es fehlt einfach an der Koordinierung auf Landesebene“, so der Experte.
Tatsächlich hat die Landesregierung das Gefährdungspotenzial durch den Eichenprozessionsspinner offenbar unterschätzt. Dabei nimmt der Befall seit 2004 Jahr für Jahr zu. Laut Gesundheitsministerium wurden für 2010 noch 213 Patienten gemeldet, die an Folgen des Kontaktes mit den Raupen erkrankten. 2011 habe die Zahl bereits bei 2033 gelegen. Dennoch heißt es aus dem Ministerium, man sei sich des Problems zwar bewusst, doch sei dies eher saisonal und regional. Im Übrigen sei für die Bekämpfung der Eigentümer der Bäume zuständig.
Für das laufende Jahr ist der Zug ohnehin abgefahren. Wirksam bekämpfen lassen sich Schädlinge eigentlich nur von Anfang April bis Anfang Mai, da dann die Larven aus ihren Eiern schlüpfen und besonders schutzlos sind. Im kommenden Jahr aber soll nun alles besser werden. Unter der Federführung des Landwirtschaftsministeriums soll eine interministerielle Arbeitsgruppe den Befall 2012 analysieren und ab September Vorbereitungen für 2013 treffen. „Es ist dringend notwendig, dass wir das Thema institutionalisieren, eine feste Arbeitsgruppe auf möglichst hohem hierarchischen Niveau haben“, meint Birgit Korth, Referatsleiterin Wald und Forstwirtschaft im Landwirtschaftsministerium und seit wenigen Tagen Leiterin der Arbeitsgruppe. Künftig müssten Landwirtschafts-, Gesundheits- und Innenministerium an einem Strang ziehen. Vor allem das Innenministerium, das immerhin die Kommunalaufsicht führt, habe die Gemeinden zu wenig ermuntert, auch einmal etwas ungewöhnlichere Lösungen auszuprobieren, verpackt Korth ihre Kritik an den Kollegen diplomatisch.
Im Havelland wollte man allerdings nicht warten, bis sich die Landesregierung in Stellung gebracht hat. Dort hat sich die Kreisverwaltung das Ordnungsbehördengesetz zunutze gemacht und per Allgemeinverfügung Dipel ES vom Helikopter aus für insgesamt rund 110 000 Euro auf rund 500 Hektar versprühen lassen. Begründet wurde diese Maßnahme mit einer notwendigen Gefahrenabwehr. „Dafür mussten wir belegen, dass die Gefahr für die Bürger durch die Haare der Raupen größer ist als durch das Versprühen von Dipel ES. Und einen Nachweis dafür, dass das Mittel gesundheitsschädlich ist, gibt es nicht“, schildert Kreissprecher Erik Nagel. Zwar liege noch kein abschließender Befund vor, so Nagel, doch der erste Eindruck lasse vermuten, dass die Maßnahme erfolgreich war. Matthias Matern
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