Von Peter Tiede: Fremde, nur zu Besuch
Vor zwölf Jahren weigerte sich Gollwitz, russische Juden aufzunehmen – und kam damit durch / Nun öffnet ein Begegnungszentrum
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Potsdam/Gollwitz - Meinte man es böse, könnte man sagen: Die Weigerung, jüdische Immigranten aufzunehmen, und die latente, vor zwölf Jahren teils offen zur Schau gestellte Ausländerfeindlichkeit in Teilen der Gemeindevertretung von Gollwitz (Potsdam-Mittelmark) haben sich irgendwie gelohnt: Ins alte Herrenhaus zogen vor zwölf Jahren nicht, wie einst vom Landkreis geplant, zum Übergang 50 bis 60 jüdische Immigranten aus der einstigen Sowjetunion. Stattdessen ist das „Schloss“ genannte Herrenhaus jetzt fein saniert. Und an diesem Sonntag eröffnet in dem Schloss eine Begegnungsstätte für jüdische und nicht jüdische Jugendliche. Man kann aber auch sagen: Die Politik hat den Skandal, der das 400-Einwohner-Dörfchen 1997 als Paradebeispiel für (ost)deutsche Fremdenfeindlichkeit in die Weltpresse katapultierte, schön gebügelt, ein Problem erst dem Vergessen anheimgegeben und dann elegant gelöst.
In der bundesweit einmaligen Einrichtung sollen nun keine fremden Familien wohnen, die, wie vor zwölf Jahren befürchtet, den Dorffrieden stören könnten, sondern Jugendliche im Alter von 12 bis 26 Jahren ins Gespräch kommen und damit Vorurteile abbauen. Das sagte am Mittwoch der Vorsitzende der Stiftung Begegnungsstätte Gollwitz, Peter-Andreas Brand, in Potsdam. Die Stiftung war 2001 gegründet worden. Mit dem Skandal von 1997, so Brand gestern, habe das alles aber nichts zu tun.
„Die meisten Gollwitzer freuen sich auf neue Gesichter“, betonte Ortsvorsteherin Nicole Näther. Und auch sie, vor zwölf Jahren noch nicht im Amt, beharrt darauf: Bei den damaligen Ereignissen sei es nicht um die Ablehnung von Juden gegangen. Das Schloss in seinem schlechten Zustand sei als Unterbringungsort auch für andere Bevölkerungs- und Religionsgruppen nicht geeignet gewesen. „Es ging allein um das Nutzungskonzept.“ Und Brand fragte gestern: „Ist es ein Akt der Klugheit, in einem Ort mit damals 400 Leuten 60 Fremde unterzubringen?“ Für die Stiftung jedenfalls habe sich Gollwitz stets engagiert.
Doch der Gollwitzer Gemeinderat hatte 1997 explizit beschlossen, gegen die Aufnahme der jüdischen Immigranten zu sein. Originalton der Gemeindevertretung damals: Man fürchte, die Unterbringung der Immigranten greife ins „über Jahrhunderte gebildete Gemeinschaftsleben“ ein und gefährde „die Entwicklung“ des Ortes. Statt Asyl für russische Juden wollte man Standort für gehobenes Wohnen werden. Auch diese Rechnung ging auf. Heute hat der Ort – gegen den Trend im Land – 80 Einwohner mehr als 1997. In Gollwitz, so die Ortsvorsteherin, lebten auch etwa 100 Zuzügler. Aus Brandenburg/Havel und Potsdam.
Erst nach einem nationalen und internationalen Aufschrei und Tagen der Geheimdiplomatie war der siebenköpfige Dorfvorstand seinerzeit bereit, den alten Beschluss aufzuheben – mit vier Stimmen bei drei Enthaltungen; und jeder Menge Abers. Danach konnte man sich „unter bestimmten Umständen vorstellen“, doch noch Juden aufzunehmen. Zuvor war den Gollwitzern vom Verhandlungsteam der Landesregierung bedeutet worden, das sei so besser für den Ruf des Landes, eine Geste des guten Willens sei ganz nett und sicher auch nicht zum Schaden des Dorfes. Der damalige Regierungschef Manfred Stolpe (SPD) hatte den Gollwitzern damals öffentlich bescheinigt, „ganz normale Bürger“ zu sein. Seine Emissäre, angereist im VW-Bus, hatten den parteilosen Dorfvorsteher vor der Beschluss- Neufassung stundenlang in dessen Wohnhaus gleich neben dem Dorfplatz bekniet.
Wirkliche Empörung über die fremdenfeindlichen Dorfvorsteher äußerte damals öffentlich vor allem der damalige Sozialdezernent des Landkreises. Günter Baaske, heute Chef der SPD-Landtagsfraktion, beklagte, dass in dem Dorf „niemandem ein Licht aufzugehen scheint, dass sie sich völlig danebenbenommen haben – nicht einmal dem Bürgermeister“. Neben Gollwitz hatten damals gleich drei weitere Dörfer in Mittelmark ähnliche Beschlüsse in den Akten.
Nun, zwölf Jahre später, sollen sich Juden, Christen oder Muslime aus Deutschland und dem Ausland über mehrere Tage in Gollwitz kennenlernen können; geplant seien Seminare, Zeitzeugengespräche, Kunst- und Theaterprojekte. Die Eröffnung des für rund 2,5 Millionen Euro sanierten Schlosses mit 22 Gästezimmern ermögliche mehrtägige und intensivere Austausche zwischen Jugendlichen, Lehrern und Jugendgruppenleitern. Das Herrenhaus stand seit 1994 leer. Zu der Eröffnung werden Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und der israelische Botschafter Yoram Ben-Zeev erwartet. (mit dpa)
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