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Gericht beendet U-Haft: Islamistische Gefährder kommen frei

Weil sie zu lange in U-Haft saßen, hat das Gericht nun die Freilassung von drei Irakern angeordnet. Die Zahl der als gewaltbereit geltenden Islamisten war in Brandenburg und Berlin zuletzt gestiegen.

Von Frank Jansen

Berlin - Zum ersten Jahrestag des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gibt es im Landgericht Berlin eine unangenehme Geschichte. Die nächsthöhere Instanz, das Kammergericht, hat nach Informationen dieser Zeitung am 5. Dezember beschlossen, die Untersuchungshaft für drei als gefährlich geltende Islamisten aufzuheben. Die Iraker Raad A., Abbas R. und Younis El-H. haben mutmaßlich für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ gekämpft. Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte die Männer allerdings nicht wegen Terrorverdachts angeklagt, es ging um bandenmäßigen Handel mit Rauschgift, darunter Kokain, Haschisch und Ecstasy-Tabletten.

Aus Sicht des 4. Strafsenats des Kammergerichts hätte es zu lange gedauert, bis die 18. Kammer des Landgerichts, eine Jugendkammer, in dem Verfahren ein Urteil hätte verkünden können. Der Prozess gegen die am 24. Mai 2017 festgenommenen Iraker soll am 24. Januar 2018 beginnen. Ein Urteil wäre erst Ende Juni zu erwarten. Eine Untersuchungshaft bis dahin ist nach Meinung des Kammergerichts nicht vertretbar. Die Strafprozessordnung lässt eine U-Haft länger als sechs Monate vor einem Urteil nur in besonderen Fällen zu.

Das Berliner Landeskriminalamt hatte El-H. im Mai als „Gefährder“ eingestuft

Auf freien Fuß kam indes nur der 20 oder 22 Jahre alte Younis El-H. Sein genaues Alter wie auch sein korrekter Name sind nicht bekannt. Der Mann kam 2014 als Flüchtling nach Deutschland. Er soll auch bereits mit Eigentums- und Gewaltdelikten aufgefallen sein. Die beiden mutmaßlichen Komplizen sitzen weiter in Untersuchungshaft, weil die Bundesanwaltschaft gegen sie wegen Terrorverdachts und Kriegsverbrechen ermittelt. Das Berliner Landeskriminalamt hatte El-H. im Mai als „Gefährder“ eingestuft. Damit gilt der Iraker als potenzieller Terrorist. Dass er nun frei ist und womöglich untertaucht, bewerten Sicherheitskreise als fatal. Erst recht vor dem Hintergrund, dass auch Anis Amri, der Attentäter vom Breitscheidplatz, schon lange vor dem Anschlag als Drogendealer und Gefährder bekannt war.

Die Sprecherin der Berliner Strafgerichte, Lisa Jani, bestätigte die Aufhebung der Haftbefehle. Der späte Beginn des Prozesses „beruht letztlich auf der Belastung der Jugendkammer und damit auf der defizitären Ausstattung der Justiz mit personellen und sächlichen Mitteln“, schilderte Jani am Montag die Meinung des Kammergerichts. Außerdem müsse sich die Jugendkammer aktuell noch mit zwei weiteren Haftsachen befassen.

Übersetzung der Anklageschrift hat fast vier Wochen in Anspruch genommen

Das Kammergericht hält der Jugendkammer nach Informationen dieser Zeitung allerdings vor, sie habe selbst die gerade noch hinnehmbare Zeitspanne von vier Monaten zwischen Erhebung der Anklage und Beginn des Prozesses überschritten. Die Anklage ging bei der Jugendkammer am 19. September ein, bis zum 24. Januar sind es dann mehr als vier Monate. Für das Kammergericht ist aber auch schon unverständlich, warum die Übersetzung der Anklage ins Arabische zwischen September und Oktober beinahe vier Wochen in Anspruch nahm.

Kritisiert wird jedoch auch die Staatsanwaltschaft. Den Richtern ist nicht klar, warum die Auswertung eines im Mai beschlagnahmten Mobiltelefons erst im September vorlag. Und weshalb die Anklage überhaupt auf dieses Ermittlungsergebnis angewiesen war, da sich kein direkter Bezug zu den Tatvorwürfen ergibt. Jedenfalls hat für das Kammergericht schon die späte Erhebung der Anklage im September das Verfahren um mindestens zwei Monate verzögert. 

Hintergrund

In diesem Jahr ist die Zahl der militanten Islamisten in Brandenburg und Berlin gestiegen. In der Mark ballen sich nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden vor allem Islamisten vornehmlich aus Tschetschenien. Ihre Zahl stieg von 100 im Jahr 2016 auf aktuell 130. Als Gefährder, denen eine Gewalttat bis zum Terroranschlag zugetraut wird, werden zehn Islamisten eingestuft. In Berlin werden 410 der fast 900 Salafisten – also sunnitische, durch reaktionäre Prediger aus dem arabischen Raum geprägte Islamisten – von Beamten als gewaltbereit eingestuft worden. Im Jahr 2016 galten 380 Salafisten als gewaltbereit. Davon werden mindestens 80 als Gefährder eingestuft. axf/fan

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