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Von Michael Klug: Josef Arons glückliche Rückkehr
Mit erweiterter Dokumentation von Einzelschicksalen geht der Zug der Erinnerung auf die zweite Reise
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Oranienburg - Josef Aron zieht immer wieder mit beiden Händen am Kragen seines Poloshirts, bevor er redet. Es wirkt, als müsse sich der kleine Mann für seine Sätze Luft verschaffen. „Wir haben die Hölle gesehen“, sagt er schließlich und beginnt zu erzählen. Als Vierjähriger wurde er 1938 von Frankfurt am Main nach Strasbourg verbracht, um den Nazis zu entkommen. Zuvor war der Vater nach Holland geflüchtet und ließ Aron, seine Mutter und die zehn Geschwister zurück. Für Aron begann damit eine Reise durch Europa, die schließlich 1943 im Konzentrationslager Bergen-Belzen endete.
„Man hat mich dort nur überleben lassen, weil man an mir sogenannte Experimente vorgenommen hat.“ Als er mit zehn Jahren von britischen Soldaten aus dem Lager getragen wird, wog Aron noch elf Kilogramm. Mit ihm haben nur drei seiner Geschwister den Holocaust überlebt. Die anderen acht Geschwister und seine Mutter hat er nie wieder gesehen. Sie wurden in Auschwitz vergast.
Heute ist Josef Aron 73 Jahre alt, über die nicht verblassen wollenden Erinnerungen an Hunger, Kälte und qualvolle Schmerzen hat er sein ganzes Leben nicht geredet. „Ich habe immer versucht, die Erinnerungen zu verdrängen“, sagt er. Es folgte ein Leben ohne Ruhepunkte, die Gründung einer eigenen Familie mit Frau und Kindern war für Aron unvorstellbar. „Menschliche Beziehungen sind für mich immer sehr schwierig geblieben.“ Erst vor wenigen Jahren hat er sich dazu überreden lassen, überhaupt psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Es hat so lange gebraucht, bis ich Angst und die Scham überwinden konnte. Letztlich war der Druck aber zu groß“, sagt Aron.
Die Erinnerung an das Schicksal von Josef Aron wird sein Leben überdauern. „Josef Aron ist eines von mehr als 200 Kinderschicksalen aus der Zeit des Faschismus, die wir in unserer Ausstellung dokumentieren“, sagt Hans-Rüdiger Minow von der Initiative Zug der Erinnnerung. In der rollenden Ausstellung wird insbesondere der von der Deutschen Reichsbahn deportierten Kinder gedacht. Doch nicht nur Juden sind die Protagonisten der Ausstellung. „Mehr als 200 Schicksale aus Polen, Rumänien und dem Baltikum wurden recherchiert und mit Dokumenten für die Ausstellung belegt.“ Darunter finden sich auch etliche Fälle aus dem Grenzgebiet zwischen Polen und der Ukraine. Dort sollte ein Exodus der slawischen Bevölkerung die Germanisierung des Gebietes vorbereiten. „Diese Menschen sind allesamt keine Juden, haben aber das Gleiche erlebt“, sagt Minow.
Vielen Schicksalen in der Ausstellung gleich ist auch das Ende ihres Lebensweges. „Die meisten verbringen ihre letzten Tagen in sozial schwierigen Verhältnissen“, sagt Minow. So auch Josef Aron.
Die Deportation als Kind hat er überstanden, im hohen Alter muss er von umgerechnet 920 Euro Rente leben, die ihm der israelische Staat sowie ein Entschädigungsfond zugestehen. „Nicht viel in einem Land wie Israel, wo vieles fast doppelt so teuer ist wie in Deutschland“, sagt Minow.
Mit dem Zug der Erinnerung verbindet Josef Aron selbst die Hoffnung, das Kapitel seiner grauenvollen Kindheit ein Stück weiter abzuschließen. „Wenn der Zug im kommenden Mai in Auschwitz ankommt, möchte ich dabei sein, um den Ort zu sehen, an dem meine Mutter starb“, sagt Aron.
Michael Klug
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