zum Hauptinhalt

Von Ronald Bahlburg: Karriere in zwei Systemen

Heinz Vietze verabschiedet sich von der Politik Im vereinigten Deutschland wollte er „dabei sein“

Stand:

Potsdam - Es ist ein lauer Sommerabend in Potsdams russischem Dorf Alexandrowka. Auf dem Tisch stehen Kosakentopf und Sibirski Pelmeni, Teigtaschen mit Schweinsgehacktem, dazu kreist eisgekühlter Wodka. Nicht etwa zum Italiener oder Griechen, sondern - wie es sich für einen vormaligen Moskauer Studenten gehört - zum Russen hat Heinz Vietze eingeladen, um sich dieser Tage von einigen Presseleuten zu verabschieden.

Über fast zwei Jahrzehnte hat der Linkspolitiker die brandenburgische Politik maßgeblich mitgeprägt und auch in der Bundesspitze seiner Partei großen Einfluss gehabt. Jetzt kehrt der 61-Jährige dem Parlamentsbetrieb endgültig den Rücken, um Jüngeren Platz zu machen und sich dem weiteren Aufbau der Linke-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung zu widmen, deren Vorsitzender er ist.

Im Landtag war Vietze „Strippenzieher“ und starker Mann    Seine politische Karriere umfasse, wie Vietze selbst gern bilanziert, 20 Jahre Diktatur und 20 Jahre Demokratie. Der gelernte Dreher war von 1984 bis 1989 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Oranienburg/Potsdam, im November und Dezember dann 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Potsdam. Es folgten 17 Jahre als Parlamentarischer Geschäftsführer im Landtag. Dort wie in der Partei galt Vietze als Strippenzieher und starker Mann - lange Zeit an der Seite des früheren Fraktionsvorsitzenden Lothar Bisky.

Seine Vergangenheit ließ objektiv keine höheren Ämter zu, auch wenn der ebenso scharfzüngige wie schlagfertige Ex-Funktionär die Fähigkeiten dafür mitgebracht hätte. „Honeckers letzter Mann“, wie die „taz“ einmal titelte, räumt ein, von den Manipulationen bei den DDR-Kommunalwahlen am 7.

Mai 1989 gewusst und - schon von Amts wegen - Stasi-Kontakte gehabt zu haben. Die Überprüfung aller Landtagsabgeordneten 1991 durch Kirchenvertreter auf Stasi-Mitarbeit überstand der Diplomgesellschaftswissenschaftler jedoch unbeschadet.

Stolpes „Brandenburger Weg“ lud zur Mitarbeit ein    Warum verschwand er nicht wie so viele andere DDR-Funktionäre in der Versenkung? Diese seien nach der Wende vielfach „pauschal kriminalisiert“ worden, erklärt Vietze, der sich ohne Wenn und Aber zu seiner DDR-Vergangenheit bekennt. „Dem habe ich mich widersetzt.“ Zudem galt es, das vereinigte Deutschland zu gestalten. „Da wollte ich dabei sein.“ Der vom damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) eingeschlagene „Brandenburger Weg“ bezog ausdrücklich die oppositionelle PDS in die Erarbeitung der Landesverfassung ein und suchte auch ansonsten einen parteiübergreifenden Konsens.

Vietze erwarb sich Respekt als Vorsitzender oder mindestens Vizechef diverser Untersuchungsausschüsse. Als Wahlkampfleiter der PDS brachte er die erfolgsverwöhnte SPD von Ministerpräsident Matthias Platzeck bei der Landtagswahl 2004 mit der Kampagne „Hartz IV - das ist Armut per Gesetz. Weg damit!“ an den Rand einer Niederlage. Die erbitterte Auseinandersetzung machte jedoch am Ende auch die erste mögliche rot-rote Koalition in Potsdam unmöglich, so dass es zu einer Neuauflage des SPD/CDU-Bündnisses kam.

Anerkennung auch von Platzeck und Schönbohm    Wenn sich der einstige Umweltaktivist Platzeck und Vietze im Wendejahr auch als Gegner gegenüberstanden, bezeugt der Regierungschef dem Linkspolitiker heute seinen Respekt vor dessen Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Bei ihm könne man sicher sein, dass sein Handschlag gelte - „eine unverzichtbare Qualität“. Selbst CDU-Innenminister Jörg Schönbohm, ein bekennender Konservativer, kreuzte schon mit dem Linkspolitiker in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung die Klingen.

Als Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung verwaltet Vietze einen Jahresetat von rund 30 Millionen Euro, von denen 11 Millionen Euro für internationale Projekte gedacht sind. Weltweit verfügt die Stiftung bereits über 14 Regionalbüros. Die Krönung wäre für ihren Chef eine Repräsentanz in New York. Ganz ohne Einfluss wird der dreifache Familienvater aber in Brandenburg wohl nicht bleiben: Für die Zeit nach der Landtagswahl am 27. September schließt Vietze ein gemeinsames Essen mit dem Ministerpräsidenten und SPD-Chef nicht aus.

Dabei könnte es dann erneut um die Aussichten für Rot-Rot gehen.

Ronald Bahlburg

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })