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Bankdrücker in Schönefeld. Vorteil: Warteschlangen gibt es nicht. Nachteil: Man kommt trotzdem nicht voran. Junge Touristen teilen per SMS mit, dass sie später kommen. 

© ddp

Von Anja Brandt: Liegen statt fliegen

Touristen schlafen nachts in der Wartehalle, BVG-Busfahrer stehen gelangweilt vorm Terminal Fast 2000 Flugzeuge sind am Boden geblieben. Verwirrung um teilweise Aufhebung des Flugverbots

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Berlin/Schönefeld - Nichts ist zu hören. Außer dem Wind, der durch die Zweige pustet, und ein paar zwitschernden Vögeln. Aber sonst herrscht absolute Stille. Die Schneiders sitzen unter der Markise auf ihrer Terrasse. Sie frühstücken, sie lauschen, und sie können es gar nicht glauben. „Es ist total ungewohnt, sie nicht zu hören“, sagt Vater Oliver. Sie – das sind die Flugzeuge, die normalerweise nebenan auf dem Flughafen Schönefeld im Minutentakt starten und landen oder ihre Warteschleifen drehen. Doch an diesem Wochenende ist alles anders. In ganz Europa und somit auch in Schönefeld (Dahme-Spreewald).

Ein paar Stunden früher, Szenenwechsel. Es ist Sonntagmorgen, kurz nach 7 Uhr. Vor den Terminals in Schönefeld glänzen die Blechdächer der geparkten Autos, in den Linienbussen sitzen die Fahrer und kaum Fahrgäste. Vereinzelt stehen zwei, drei Leute vor dem Gebäude und rauchen.

In der Wartehalle im Terminal B schält sich währenddessen Carlota Dalmau aus ihrer Wolldecke. Die 23-Jährige setzt sich aufrecht hin auf der harten Bank. Brille auf. Ein fragender Blick, und Freundin Sarah Contreras schüttelt den Kopf. Es gibt nichts neues, sie, Carlota, habe nichts verpasst. „Wir sind seit vier Uhr morgens hier“, erzählt die 20-jährige Contreras. Um sieben Uhr hätte ihr Flieger sie nach Hause bringen sollen, nach Barcelona. Aber er hat es nicht: „cancelled“. Die Fluggesellschaft hat einen Ersatzflug für Mittwoch angekündigt. Jetzt warten die Spanierinnen darauf, dass die Gesellschaft ihnen ein Hotel für die Extra-Tage in Berlin organisiert – und es bezahlt. Denn mehr Geld wollen die beiden nicht ausgeben, „wir können es auch nicht“. Die beiden Frauen sind am Donnerstag angekommen, dem Tag, an dem der Vulkan ausgebrochen ist. In Barcelona waren die beiden mit drei Stunden Verspätung gestartet; sie wussten erst gar nicht, ob sie überhaupt fliegen dürfen. Aber sie durften, kamen in Berlin an, „und wir dachten, dieses Flugverbot würde nur ein, zwei Tage dauern“. Doch es dauert länger, bis wann, weiß auch die Deutsche Flugsicherung nicht. Und so werden die beiden Studentinnen einige Tage länger in Berlin bleiben. Ihre Freunde sollen in der Uni Bescheid geben. „Zum Glück stehen gerade keine wichtigen Prüfungen an“, meint Sarah Contreras. Und Carlota Dalmau, die arbeiten muss, hat ihren Chef informiert. Der habe verständnisvoll reagiert. „Das ist eben eine Naturgewalt, da kann man nichts machen“, sagt Carlota Dalmau und lächelt.

Im Terminal nebenan werfen Helle und Finn Andersen einen letzten Blick auf die Anzeige. Eigentlich sollten die beiden Dänen schon am Freitag nach Hause fliegen. Doch der Flug nach Kopenhagen wurde gestrichen. Die Andersens sind in einem Hotel in der Nähe untergekommen. Ein Ersatzflieger war für Sonntagvormittag angekündigt, doch auch der wird nicht starten. Betroffen waren insgesamt fast 2000 Flüge von und nach Berlin. Für die beiden Dänen immerhin geht es trotzdem nach Kopenhagen: „Wir haben in der Zwischenzeit eine Busfahrt organisiert.“ Acht Stunden dauert die Reise, mit dem Flieger wären es 60 Minuten gewesen.

Margit und Peter Konzer werden gleich gar nicht mehr fliegen, sie sind Berliner. Am Sonntag sollte es nach Istanbul gehen. „Dass nichts aus unserem Kurztrip wird, haben wir geahnt“, das Ehepaar habe den Videotext verfolgt. Nun will es Urlaub in Deutschland machen. „Dass wir nicht fliegen, wirft uns nicht um.“

Diese Einstellung scheinen nicht nur die Konzers zu haben. Die Leute seien erstaunlich gefasst, erzählt eine Mitarbeiterin am Infoschalter, die so etwas wie diesen Totalausfall nach einem Vulkanausbruch noch nie erlebt habe. „An gewöhnlichen Tagen hetzen die Menschen viel eher herum.“ Genauso ruhig geht es an der Touristinformation zu. Statt nach Touren durch Berlin fragten die Leute jetzt, wie sie wegkommen. Während sich viele um Alternativreisen mit dem Bus oder mit der Bahn kümmern oder versuchen, noch irgendwo einen Mietwagen herzubekommen, stärken sich andere erst einmal: Am Flughafen Schönefeld haben am Sonntag die Bäcker geöffnet. In Tegel sind fast alle Läden geschlossen.

Daria Konowalova und ihre Mutter Irina haben die Nacht auf Sonntag auf den Sofas eines Terminals verbracht. Sie sollten Samstagmittag nach Moskau fliegen. Wann sie es nun können, wissen sie nicht. Und auch nicht, wo sie schlafen sollen. „Die Hotels sind voll“, so Daria, „außerdem wird das zu teuer“. Natürlich wollten sie nach Hause, schließlich müssten sie arbeiten. Aber das sei eben Natur – und auf der Arbeit könnten sie Bescheid sagen.

Nicht Bescheid sagen können zwei Putzfrauen aus Madrid. Die beiden haben Angst um ihren Job, wenn die Chefs erfahren, dass sie ihr Geld für Wochenendtrips ausgeben. So schnell wie möglich wollen sie deswegen nach Spanien – und nehmen fast 22 Stunden in der Bahn auf sich. 

Um 17 Uhr kommt in Schönefeld endlich Bewegung in den Stillstand, zumindest scheint es so: Per Lautsprecher wird bekanntgegeben, dass das Flugverbot bis 20 Uhr für Maschinen in Richtung Osten aufgehoben sei: „Sollte eine Maschine fliegen, werden wir Sie umgehend darüber informieren.“ Dass eine Maschine fliegen würde, ist allerdings noch völlig unwahrscheinlich: Sicherheits-Check-in in der Abflughalle geschlossen, kein Mensch zu sehen, auf den Anzeigetafeln nach wie vor alle Flüge gestrichen. Den einzigen Andrang gibt es bei Aeroflot, aber auch dort muss das Personal enttäuschen: „Wir haben keine Maschine, kein Personal“, sagt eine Angestellte. „Das ist alles viel zu kurzfristig. Aeroflot hat alle Flüge bis Montag um 23.59 Uhr gestrichen.“ Die offizielle Auskunft am Infoschalter des Flughafens geht in die gleiche Richtung: „Bis 19 Uhr fliegt erst mal nichts.“

Anja Brandt

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