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Von Sebastian Leber: Nächstenhiebe

Zu laut, zu dreckig, zu viele Kinder: Im Internet kann jetzt jeder seine Nachbarn denunzieren Immer mehr Berliner nutzen das Läster-Angebot. Aber die Opfer können sich wehren

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Wer kann, zieht besser schnell weg aus Berlin. In Friedrichshain leben Drogendealer und Randalierer, in Mitte Saufköpfe und Asoziale, in Prenzlauer Berg hausen „Mieter, die sogar tagsüber laut stöhnen“. Reinickendorf beherbergt „Schmuddelmieter“, die nicht bloß laute Punkmusik hören, sondern auch tote Igel auf den Grill legen und später aufessen. Ganz schlimm ist Neukölln dran, dort lebt am Michael-Bohnen-Ring ein „dickes Ungeheuer“. Das ist „verlogen, verlogen und nochmals verlogen“. Jedenfalls, wenn man der Internetseite www.rottenneighbor.com glaubt.

Dass Nachbarn sich oft nicht leiden können und schlecht übereinander reden, ist keine Neuigkeit. Dass sie aber anonym gegeneinander hetzen und alle Welt die Beleidigungen nachlesen kann, das ist neu. Das Projekt Rotten Neighbor – auf Deutsch etwa: mieser Nachbar – wird von einem kalifornischen Unternehmen betrieben. Angeblich war es als nützliches Infoportal gedacht, auf dem sich Umzugswillige vorher ein Bild machen können, in welcher Ecke einer Stadt sie besser keine Wohnung anmieten und kein Haus bauen sollten. Clevere Idee, eigentlich.

Tatsächlich wird die Seite aber vor allem für bösartige Läster-Attacken genutzt – ob an den Beschuldigungen etwas dran ist, wird nicht kontrolliert. Auch deutsche Internetnutzer haben die Seite für sich entdeckt. Ganz vorne dabei: die Berliner.

Besonders gemein ist, dass die vermeintlich faulen, dreckigen, lauten Nachbarn oft mit vollem Namen und genauer Adresse genannt werden. Und keine Ahnung davon haben, welche Lügen hinter ihrem Rücken verbreitet werden – es sei denn, sie klicken zufällig selbst auf die Seite. Ein Eisdielenbesitzer aus Köpenick etwa wurde vergangenen Monat von Bekannten darauf hingewiesen, dass sein Laden auf der Rotten-Neighbor-Seite genannt wird. Und er selbst dort als Zuhälter beschimpft wird, der über die Diele illegales Geld reinwasche. Der Mann war entsetzt – schließlich können solche Internet-Lügen leicht das Geschäft schädigen.

Während die Opfer mit Namen genannt werden, bleiben die Autoren der Schmähungen anonym. Das macht es für böswillige Nachbarn umso interessanter. Weil sie nicht fürchten müssen, am nächsten Tag etwa einen Hundehaufen im Briefkasten zu finden. Und es ist logisch, dass anonyme Autoren nicht um sachliche Darstellung bemüht sind, sondern in ihrer Wortwahl maßlos übertreiben. Wer in Wahrheit vielleicht nur einen Pappkarton im Hausflur stehen gelassen oder seinen Müll in die falsche Tonne gesteckt hat, wird auf der Internetseite gleich als „ekliges Luder“, „Rotzkopf“ oder „Ossi-Schlampe“ beschimpft. Eine beliebte Schmähung ist unter Berlinern übrigens die Formulierung „zu viele Kinder“. Die findet man gleich in mehreren Stadtteilen.

Die Möglichkeiten, sich gegen die Beleidigungen zu wehren, sind begrenzt. Der Köpenicker Eisdielenbesitzer wandte sich per Mail an die Betreiber der Seite, die löschten den Eintrag. Das ist laut Berlins Datenschutzbeauftragtem Alexander Dix der beste Weg, einen Lügenbeitrag von der Seite zu bekommen. Schwieriger wird es, wenn sich die Betreiber weigern. Nach deutschem Recht hätte eine Klage zwar Chancen auf Erfolg, sagen Rechtsexperten. Aber das Verfahren wäre zeitaufwendig und unter Umständen kostspielig. Eine Klage von Deutschen gegen das Projekt ist bis jetzt nicht bekannt. Bisher hatten die Betreiber im Zweifelsfall immer ein Einsehen – die scheinen ganz nett zu sein.

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