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Von Christian van Lessen: Neues Schloss, neues Viertel?

Der frühere Senatsbaudirektor Hans Stimmann sieht jetzt die Chance, ein vergessenes Quartier zu bauen

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Ist die Schloss-Entscheidung der Anstoß für ein neues „altes“ Viertel? „Ich glaube nicht, dass das Schloss vor dem Marx-Engels-Forum stehen kann. Das ergibt keinen Sinn aus der Geschichte“, meinte gestern der frühere Senatsbaudirektor Hans Stimmann. Nach der Entscheidung für die Schloss-Figur des Humboldt-Forums müsse über die Umgebung gerade östlich des Neubaus nachgedacht werden. Stimmann befürwortet die Rekonstruktion des einstigen Quartiers zwischen Marienkirche und Rotem Rathaus – etwa mit bürgerlichen Stadthäusern wie auf dem Friedrichwerder. Er ist sicher: „Die Debatte wird sich radikal verändern.“

Stimmann, der am Tag der Entscheidung in Vicenza war – wo der Wettbewerbsgewinner Franco Stella arbeitet – ärgert sich seit längerem über die „belanglose Grünfläche“ gegenüber dem Schloss-Areal. Schon in den neunziger Jahren hatte der Spreeinsel-Wettbewerb das nach Kriegszerstörungen und Abriss versunkene historische Viertel in Erinnerung gebracht, der Architekt Stephan Braunfels gehörte zu denen, die zumindest ein „Öffnung“ des Schlosses Richtung Osten vorschlugen – um das Areal aufzuwerten. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hatte in letzter Zeit wissen lassen, sie könne sich eine Diskussion über die Bebauung des Marienviertels vorstellen. Angefacht aber werde die Debatte sicher erst, wenn das Humboldt-Forum fertig sei, also nicht vor 2013. Der Neubau müsse erst wirken, hieß es in der Behörde. Vielleicht mache sich dann das Fehlen einer Stadtkante gegenüber der Spree bemerkbar.

Stimmann wiederum ist überzeugt, dass mit den Entwürfen für das Humboldt-Forum jetzt die Zeit reif ist, über die Umgebung des Bauwerks nachzudenken. Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) meinte am Freitag, die „große städtebauliche Geste“ der DDR-Architektur mit der großen Freifläche zwischen Alexanderplatz und Humboldt-Forum müsse erhalten bleiben, dürfe kein „kleinteiliges Stadtviertel“ werden. Schon 1996 hatte ein erster Entwurf des Planwerks Innenstadt die Rekonstruktion des Stadtbilds rund um die alte Marienkirche vorgeschlagen. Mittelpunkt des damaligen Viertels war die Heiligegeiststraße, an die heute eine kurzer Stummel als „Gasse“ am Dom Aquarée an der Karl-Liebknecht-Straße erinnert. Das Altstadtviertel bestand aus einem kleinen Straßengeflecht, Lessing und Moses Mendelsohn lebten und wirkten hier, Fontane flanierte, das Denkmal von Marx und Engels setzt ein Orientierungszeichen:  Hier war die Heiligegeiststraße 16. Stimmann will sie von hier auch nicht vertreiben, ihnen freien Raum lassen.

Freier Raum wird aber hier auf absehbare Zeit noch benötigt. Wegen der geplanten Verlängerung der U-Bahnlinie 5 soll das Marx-Engels-Forum als Platz für die Baustellen-Einrichtung freigehalten und aufgegraben werden, etwa in zwei Jahren. Über die Verlegung des Neptunbrunnens muss noch entschieden werden. Mit den Arbeiten ist vermutlich in zwei Jahren zu rechnen.

Die Stadt aber besinnt sich verstärkt ihrer historischen Wurzeln auch jenseits des rekonstruierten Nikolaiviertels. Sie verdichtet sich rund um die Friedrichwerdersche Kirche, den Hausvogteiplatz, die Klosterstraße. Stimmann setzt auf die Historie. In Vicenza besuchte er gestern eine Ausstellung zum 500. Geburtstag des Architekten Andrea Palladio.

Christian van Lessen

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