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Von Peter Tiede: Offensiv-Taktik ohne Bundesanwalt

Bei der Suche nach einem  Spion in der brandenburgischen Staatskanzlei ließen die deutschen Nachrichtendienste die obersten Strafverfolger außen vor

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Potsdam - Im Fall des angeblichen Agenten des russischen Geheimdienstes in der brandenburgischen Landesregierung haben es deutsche Sicherheitsbehörden offenbar unterlassen, den Generalbundesanwalt rechtzeitig vom Spionageverdacht gegen den Bundesbürger zu unterrichten. Nach PNN-Informationen hätten entweder der Bundesnachrichtendienst (BND) oder das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vor mehr als zwei Jahren die oberste deutsche Strafverfolgungsbehörde in Karlsruhe einschalten müssen. Denn obwohl keine gesicherten Erkenntnisse über eine aktuelle Agententätigkeit des hohen Landesdieners vorlagen, hatten die Nachrichtendienste doch deutliche Hinweise aus Tschechien darauf, dass der Westberliner vor der Wende für den Osten gekundschaftet haben könnte.

Die Information der Strafverfolgungsbehörden darüber sei aber unterblieben, hieß es aus Sicherheitskreisen. Die Generalbundesanwaltschaft verwies am Dienstag lediglich darauf, dass die Behörde erst nach den jüngsten Presseveröffentlichungen über den Verdachtsfall ein Prüfverfahren eingeleitet habe. Sprich: Man hatte vorher keine Kenntnis von der Tatsache, dass es im brandenburgischen Landesdienst noch einen unenttarnten Westspion des Ostblocks geben könnte, gegen den ein Verfahren wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit hätte eingeleitet werden müssen. Die Ermittler haben nun auch die deutschen Nachrichtendienste um nähere Informationen gebeten. Auch in Tschechien wird geforscht. Das BfV ließ ausrichten, dass man sich zu dem gesamten Komplex nicht äußert.

Doch nach PNN-Informationen hatte sich der tschechische Geheimdienst vor etwa zweieinhalb Jahren bei den deutschen Nachrichten- und Geheimdiensten gemeldet und von einem BRD-Bürger berichtet, der mindestens bis 1989 nach Erkenntnissen des damaligen tschechoslowakischen Geheimdienstes als Wissenschaftler in Westberlin und der BRD als Agent für den sowjetischen Geheimdienst KGB und die Auslandsspionage des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, die Hauptverwaltung A, gearbeitet habe. Das BfV legte einen operativen Vorgang an. Der Verdächtige wurde observiert.

Die Tschechen waren im Rahmen der eigenen Vergangenheitsaufarbeitung in ihren Archiven auf eine Liste mit Westspionen des Ostens gestoßen und hatten daraufhin die nun befreundeten westlichen Nachrichten- und Geheimdienste über die Personen unterrichtet. Für den tschechoslowakischen Geheimdienst habe der Westberliner aber zu Zeiten des Kalten Krieges nicht gearbeitet, hieß es aus Prag.

Wie es nun aus deutschen Sicherheitskreisen hieß, hätte im Normalfall entweder die Führung des BfV oder des BND den Generalbundesanwalt zumindest über den Spionageverdacht aus der Vorwendezeit informieren müssen. Der hätte dann, wie in solchen Fällen üblich, ein Verfahren oder einen Prüfvorgang eingeleitet – dies aber schnell wieder ruhen lassen, um nicht in die Informationspflicht gegenüber dem Beschuldigten zu kommen und die nachrichtendienstlichen Aktionen gegen den Verdächtigen nicht durch offizielle Ermittlungen zu gefährden.

Statt Karlsruhe schaltete das BfV nach PNN-Informationen nur die Verfassungsschutzabteilung des brandenburgischen Innenministeriums ein – nicht auf Führungs-, sondern auf Referatsleiterebene. In Potsdam begann dann Referatsleiter W. mit einem operativen Vorgang. Referatsleiter W. informierte wenig später auch die Leitungsebene des Innenministeriums. Die Hausführung entschied: Weiter beobachten. So wurde der Mitarbeiter der Staatskanzlei observiert. Darüber, dass der Verdächtige abgehört wird, wurde auch die sogenannte G10-Kommission des Landtages, der Abgeordnete aller Fraktionen angehören, informiert. Die G10 muss vom Innenministerium bei Eingriffen etwa in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis durch den Verfassungsschutz informiert werden. Nachrichtlich wurde zumindest auch der damalige Chef der Parlamentarischen Kontrollkommission, der inzwischen verstorbene SPD-Abgeordnete Klaus Bochow, informiert, wie aus einer Aktennotiz hervorgeht.

Bei ihren Überwachungen dokumentierten die Nachrichtendienstler dann zumindest ein Treffen des verdächtigen Staatskanzlisten mit einem eindeutig als Agentenführer des russischen Geheimdienstes FBS identifizierten Mann. Da die Schlapphüte aber nicht ausschließen konnten, dass es sich um ein rein dienstliches Treffen handelte und dass der Mitarbeiter der Staatskanzlei nicht wusste, welchem Hauptberuf sein Gesprächspartner nachging, blieben ihnen die Hände gebunden. Ebenso dem inzwischen informierten Chef der Staatskanzlei, der massiv unter Druck gesetzt wurde, dem Mitarbeiter die Berechtigung zum Umgang mit geheimen Unterlagen zu entziehen. Ohne gerichtsfeste Rechtsgrundlage, so argumentierte damals der Chef der Staatskanzlei, Clemens Appel, sei dies nicht möglich. Die Verfassungsschützer hatten ihm zwar Unterlagen vorgelegt – aber mit dem Hinweis, dass er diese nicht verwerten könne und nach Durchsicht zu vernichten habe.

Am Ende entschlossen sich offenbar alle beteiligten Stellen in Brandenburg, die nachrichtendienstlichen Aktionen nicht weiterzuführen. Wie in der Halbwelt der Geheimen durchaus üblich, entschloss man sich für die Offensiv-Abwehr: Drohen Ermittlungen in Anbetracht des zu erwartenden Ergebnisses zu aufwendig zu werden oder ist Gefahr im Verzug, wird der Verdächtige mit dem Verdacht konfrontiert. Das Ergebnis: Man hat zwar rechtlich nichts in der Hand, der mutmaßliche Agent aber kann nicht weiter spionieren. Arbeitstechnisch sucht man dann nach „Alternativen“ für den nicht überführten. Nur: Bis heute weiß so niemand, was der Verdächtige als Mitarbeiter der Staatskanzlei nun tatsächlich trieb oder eben nicht. Fest steht nur: Ursprünglich sollte er im September in Altersteilzeit gehen. Nun geht er früher aufs Altenteil: ab April.

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