Von Klaus Kurpjuweit: S-Bahn hat 25 000 Stammkunden verloren 8,6 Prozent der Fahrgäste fahren jetzt lieber mit dem Auto. Studie: Entschädigung zu niedrig
Berlin - Das Chaos bei der S-Bahn hat nicht nur den Fahrgästen und Geschäften in und an Bahnhöfen, sondern auch der Umwelt geschadet. Weil nach einer Studie 8,6 Prozent der bisherigen Kunden aufs Auto umgestiegen sind, hat die CO2-Belastung zugenommen.
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Berlin - Das Chaos bei der S-Bahn hat nicht nur den Fahrgästen und Geschäften in und an Bahnhöfen, sondern auch der Umwelt geschadet. Weil nach einer Studie 8,6 Prozent der bisherigen Kunden aufs Auto umgestiegen sind, hat die CO2-Belastung zugenommen. Die Mehrbelastung fraß den Wert eines halben Jahres auf, der durch das Anschaffen abgasärmerer Fahrzeuge erreicht worden ist. Und dabei bleibt es tendenziell, denn rund 25 000 der täglich 675 000 berufstätigen S-Bahn-Nutzer wollen nun auch in Zukunft mit dem Auto zur Arbeit fahren. Zudem wollen sich rund zehn Prozent der Fahrgäste, die weiter S-Bahn fahren, keine Zeitkarten mehr kaufen. Drei Viertel aller Fahrgäste halten zudem die angebotenen Entschädigungen der S-Bahn für unzureichend.
Bestätigt werden sie dabei durch eine Studie des IGES-Instituts, das den Zeitverlust durch die ausgefallenen oder verspäteten Züge ermittelt und als Geldwert umgerechnet hat. Bis Mitte Oktober hatten die Fahrgäste demnach – zusammengerechnet – mehr als 3,5 Tage beim Warten auf die S-Bahn verbracht. Die Spanne reichte von drei Minuten bis zu zwei Stunden pro Fahrt. Vor dem Desaster waren die Fahrgäste durchschnittlich 44,5 Minuten unterwegs; danach verlängerte sich die Fahrzeit um 12,4 Minuten; bei der Hin- und Rückfahrt also um 24,8 Minuten oder 9,1 Stunden pro Monat.
Bei einem durchschnittlichen Nettoeinkommen in Höhe von 66,25 Euro täglich liegt rechnerisch der Wert für die verlorene Zeit bisher bei 235 Euro. Stammkunden erstattet die S-Bahn eine generelle Freifahrt im Dezember bei allen Verkehrsunternehmen in Berlin und im Umland. Beim Kauf einer Jahreskarte kostet der Monat rechnerisch aber nur 69 Euro. Die Forderung der Mehrzahl der Fahrgäste nach zwei oder drei Monaten mit Freifahrten bliebe somit noch unter dem rechnerischen Gegenwert des erlittenen Zeitverlusts, sagte am Donnerstag der Chef des IGES-Instituts, Bertram Häussler.
Die Bahn will ihr vorgelegtes Entschädigungsangebot aber nicht nachbessern, wie ein Sprecher gestern bekräftigte. Die Berechnungen des Instituts, die IGES nach eigenen Angaben ohne Auftrag erstellt hat, seien zudem nicht nachvollziehbar, sagte der Bahnsprecher weiter. S-Bahn und BVG hätten sogar in der Krise eine Zunahme bei der Zahl der Abonnements erreicht. Beide werben derzeit damit, dass man als Abonnent bei einer Jahreskarte jetzt nur den Wert für neun Monate zahlen müsse, da der Dezember gratis ist.
Die IGES-Studie beschränkt sich aber nicht nur auf die Folgen für die S-Bahn-Fahrgäste. Sie hat auch ergeben, dass 27,3 der Berufstätigen, die mit dem Auto oder einem anderen Verkehrsmittel unterwegs waren, ebenfalls Zeitverluste erlitten haben: durch Staus, Umwege oder häufigeres Umsteigen. Hier habe sich die durchschnittliche Fahrzeit von 27,7 Minuten auf 32,2 Minuten verlängert. 18 Prozent hielten den Stau auf den Straßen für unzumutbar, 21 Prozent bewerteten so die Parkplatzsituation nach dem Chaosausbruch Ende Juni.
Parallel zu der IGES-Studie hat auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Unternehmen in der Nähe von S-Bahnhöfen befragt. Die Mehrzahl klagte über Umsatzrückgänge, sagte Christian Wiesenhütter, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK. Als Kompensation sollten die Geschäfte in die Umgebungspläne von Bahnhöfen aufgenommen werden.
Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) und der Chef des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB), Hans-Werner Franz, wiesen darauf hin, dass die Krise bei der S-Bahn noch lange nicht überwunden ist. Von August bis November hat der Senat den Zuschuss an die S-Bahn bereits um 31 Millionen Euro gekürzt. Auch der Imageschaden sei enorm, sagte Franz weiter. Berlin habe sich in ganz Europa zum Gespött gemacht. Hierzu gibt es keinen rechnerischen Gegenwert.
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