S-Bahn-Chaos: Senat lenkte S-Bahn auf die Sparspur
Derzeit empört sich die BErliner Landespolitik über die Zustände bei der Bahn-Tochter. Doch es war die Berliner Finanzverwaltung, die den Sparkurs mit einem Gutachten selbst forderte.
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Berlin - Es waren harsche Sätze nach den wieder gehäuften Zugausfällen bei der S-Bahn in den vergangenen Wochen: „Der Senat wird es nicht hinnehmen, dass die S-Bahn-Geschäftsführung Dienst nach Vorschrift macht und die Fahrgäste auf der Strecke bleiben. Wir werden die Berichtsanforderungen an die S-Bahn erhöhen und die Kontrolle durch externe Experten wieder aufnehmen“, hatte der Staatssekretär der Senatsverkehrsverwaltung, Christian Gaebler, verärgert angekündigt. Die Weichen für die Misere hat allerdings der Senat selbst mitgestellt, wie ein Papier von 2003 zeigt, auf das diese Zeitung jetzt bei Recherchen gestoßen ist. Heute will man davon nichts mehr wissen.
Im September 2009 hatten von der Finanzverwaltung unter der Leitung von Thilo Sarrazin (SPD) beauftragte Gutachter Einsparungen bei der S-Bahn vorgeschlagen, die später vom Unternehmen zum Teil umgesetzt worden sind – und die Krise der S-Bahn wesentlich mitbeeinflusst haben. Der Senat wollte damals bei den Verhandlungen zum Verkehrsvertrag seine Zuschüsse für den Betrieb kürzen und ließ als Grundlage von Experten das „Einsparpotenzial“ bei der S-Bahn analysieren. Später nutzte der Bahnkonzern dieses „Einsparpotenzial“, um mit Gewinnen aus der S-Bahn, die an den Konzern weitergereicht werden mussten, die eigene Bilanz zu verschönern. Die Senatsgutachter hatten, bezogen auf das Jahr 2003, ein „Einsparpotenzial“ bei der S-Bahn in Höhe von rund 76,8 Millionen Euro ermittelt. Auch mit Hinweis auf diese Zahlen war es dem Senat dann gelungen, die Zuschüsse zu reduzieren.
Radikal sparen wollten die Gutachter bereits damals bei den Fahrzeugen. Im Einsatz bleiben sollten nur noch die 500 Doppelwagen der damals neuen Baureihe 481, deren Probleme bei der Technik und der Wartung im Sommer 2009 die immer noch anhaltende Krise auslösten. Die Gutachter wollten auch die Fahrzeug-Reserven kappen. Zehn Prozent des „Dienstplanbedarfs“ hielten sie für ausreichend.
Die S-Bahn setzte nach Abschluss des Verkehrsvertrags die Vorschläge weitgehend um. Mitarbeiter wurden geschasst, Fahrzeuge verschrottet und Werkstätten geschlossen. Erst mit der Krise 2009 begann das Umdenken. Immerhin behielt das Unternehmen statt der von den Gutachtern für ausreichend gehaltenen 500 Doppelwagen noch 650 im Bestand.
Hätte die S-Bahn die Vorschläge der Gutachter komplett übernommen, wäre der Fahrzeugmangel also heute vermutlich noch größer, als er es ohnehin ist. Und die Kritik des Senats vermutlich auch. Klaus Kurpjuweit
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