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Seite an Seite. Mit der stetig steigenden Lebenserwartung nimmt auch die Zahl der Menschen zu, die Pflege brauchen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Von Ulrich Zawatka-Gerlach: Sozialausgaben in Berlin steigen rasant

3,9 Milliarden Euro im Jahr 2010 / Immer mehr ältere Menschen sind auf staatliche Leistungen angewiesen

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Stand:

Berlin - Die großen Wirtschaftsprobleme und die hohe Arbeitslosigkeit in Berlin seit Anfang der neunziger Jahre kommen die Bundeshauptstadt jetzt teuer zu stehen. Denn die Zahl der alten Menschen, die mit ihrer schmalen Rente nicht auskommen oder die vorzeitig erwerbsunfähig werden, steigt vehement. Und damit steigen auch die öffentlichen Ausgaben für Grundsicherung, Pflege und Hilfen in besonderen Lebenslagen. Für die soziale Absicherung der Altersarmut muss das Land Berlin im laufenden Jahr mehr als 1,3 Milliarden Euro zahlen.

Bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbslosigkeit sind das sieben Prozent mehr als 2009. Bei der Pflegehilfe sind es über neun Prozent mehr als im Vorjahr, schätzt die Finanzverwaltung des Senats. Bis zum Jahresende, sagen Experten, könnten sich die bisherigen Prognosen noch zum Schlechteren entwickeln. Rechnet man das Wohngeld, die Kosten für Hartz IV, Hilfen zur Erziehung und andere Sozialausgaben hinzu, die Berlin aus dem Landesetat bezahlen muss, werden bis zum Jahresende fast 3,9 Milliarden Euro fällig. Bisherige Versuche, die Kosten pro Hilfefall und die Ausgaben für das Personal in den Sozial- und Jugendämtern zu dämpfen, waren bisher nur von bescheidenen Erfolgen gekrönt.

Das Problem ist, dass die öffentlichen Kosten der Altersarmut kaum steuerbar sind, weil die staatlichen Leistungen für die Betroffenen bundesrechtlich festgelegt werden. Die rapide steigenden Ausgaben konzentrieren sich auch nicht auf die traditionell schwierigen Stadtregionen – Neukölln, Spandau und Mitte. Sie treffen auch grüne Randbezirke wie Reinickendorf oder Steglitz-Zehlendorf, die einen hohen Altersdurchschnitt vorweisen. In Reinickendorf beispielsweise stieg die Zahl der Grundsicherungs-Empfänger von 3500 (2007) auf 3900 (2009). „Wegen der Arbeitslosenzahlen der letzten 20 Jahre wird sich dieser Trend noch verstärken“, sagt Sozialstadtrat Andreas Höhne (SPD). „Wir haben immer mehr ältere Menschen, deren Einkommen stagniert oder rückläufig ist“, bestätigt der Amtskollege aus dem Südwesten Berlins, Norbert Schmidt (CDU).

Der Grund: Die Erwerbsbiografien werden wegen zeitweiliger oder langjähriger Arbeitslosigkeit unvollständig. Entsprechend niedrig sind die Renten. Außerdem sind die Arbeitseinkommen in Berlin im bundesweiten Vergleich niedrig. „Auch die Ansprüche aus der Pflegeversicherung reichen nicht mehr aus“, so die Sozialstadträtin Ines Feierabend (Linke) aus Treptow-Köpenick. Deshalb stiegen auch die Kosten für Pflege-, Kranken- und Behindertenhilfen. Und der Staat muss immer länger zahlen, weil die Lebenserwartung wächst.

„Was wir jetzt haben, ist noch ein laues Lüftchen“, sagt Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD) voraus, zuständig für die Sozialpolitik in Pankow. Bei einer Umfrage des Berliner Tagesspiegels in den Berliner Bezirken wiesen alle Fachpolitiker darauf hin, dass der aktuelle Wirtschaftsaufschwung für jene, die jetzt schon arm und alt sind, zu spät kommt.

So wirft der Spandauer Sozialstadtrat Martin Matz (SPD) der eigenen Landesregierung vor, dass die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit seit Jahren „unrealistisch niedrig“ im Haushalt eingeplant würden.

Matz sagt, er habe den früheren Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) zuletzt im April 2009 darauf hingewiesen, dass die Ansätze für die Grundsicherung seit langem zu niedrig seien. „Ich erhielt die Antwort, die Zahlen seien nicht so unrealistisch und außerdem gebe es immer an anderer Stelle im Etat noch eine Vorsorge“, berichtet der Stadtrat. Dem scheidenden Senator sei es wohl mehr um „die Kosmetik seiner Abschiedsbilanz“ gegangen. Allerdings lässt Matz auch den neuen Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) nicht ungeschoren. Die Zuweisungen an die Bezirke für die Grundsicherung und andere soziale Hilfen zur Bekämpfung der Altersarmut seien im Doppelhaushalt 2010/11 „noch unrealistischer“ erfolgt.

Kürzlich musste sich die Berliner Finanzverwaltung selbst korrigieren und die Prognose für die Sozialhilfeausgaben 2010 gegenüber der Planung kräftig erhöhen (siehe Tabelle).

Besonders drastisch steigen in vielen Bezirken die Wohngeldzahlungen. Das liegt vor allem an der vom Bund beschlossenen Reform, aber auch an den Hilfebedürftigen, die erwerbsunfähig werden und nicht mehr vom Job-Center die Unterkunftskosten erstattet bekommen. Sie erhalten Grundsicherung und Wohngeld. Stephan von Dassel (Grüne), Sozialstadtrat in Mitte, beklagt in diesem Zusammenhang den Personalabbau in den Bezirken, „während gleichzeitig in vielen Bereichen die Zahl der zu betreuenden Menschen ansteigt“. Zudem liege der Altersdurchschnitt der Mitarbeiter in den Sozialämtern bei über 50 Jahre. Viele könnten die Arbeit nicht mehr bewältigen. Im Bezirk Mitte kämen inzwischen auf eine volle Stelle 250 Grundsicherungs-Fälle.

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