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Flugrouten: Überraschung aus der Luft

Friedrichshagen oder Kleinmachnow sollten es sein – idyllische Wohnorte am Rande Berlins. Seit Bekanntgabe der Flugrouten ist die Stimmung angespannt

Berlin/Kleinmachnow - Friedrichshagen sollte es sein, am Rande Berlins, direkt am Müggelsee. „So ein idyllischer Mikrokosmos, perfekt, um die Kinder großzuziehen“, sagt Claudia Müller (Name von der Redaktion geändert), 35. Also zog sie mit Mann und Sohn vor einem halben Jahr dorthin, vor zwei Monaten bekam sie noch eine Tochter. Die Freude über den neuen Wohnort ist vorbei, seit die Deutsche Flugsicherung (DFS) am Montag bekannt gab, dass die Flugrouten vom künftigen „Willy Brandt“-Flughafen in Schönefeld auch über den Müggelsee führen. Rund 120 Mal am Tag, mindestens in 1,06 Kilometer Höhe. „Hätten wir das gewusst, wären wir nicht hergezogen“, sagt Müller verärgert. Freunde und Bekannte fordert sie nun zum Protest auf. Auch in Kleinmachnow ist die Stimmung seit der Bekanntgabe angespannt. Beide Gemeinden wurden überrascht.

Die Friedrichshagener Bürgerinitiative FBI informiert am Dienstagmorgen auf dem Marktplatz. Wegen des Medieninteresses gibt es später zusammen mit der örtlichen Werbegemeinschaft im Seebad spontan einen Pressetermin. „Die Müggelseeregion ist das zentrale Naherholungsgebiet Berlins und steht unter Naturschutz“, sagt Benjamin Saborowski, 28, von der FBI. Statt 120 Fliegern rechnet er je nach Windverhältnissen mit über 250 pro Tag. „Die Politiker verschaukeln uns. Wannsee und Müggelsee müssen gleich behandelt werden“, fordert Saborowski. Zusammen mit den Initiativen des Bündnisses Südost wolle man den Widerstand stärken.

Regina Menzel, 36, von der Werbegemeinschaft Friedrichshagen sieht sogar den Handel im Ort gefährdet. „Wenn die Flugrouten so kommen, werden nicht mehr genügend Besucher kommen, die die Bölschestraße mit ihren 180 Geschäften braucht“, sagt sie. Sie befürchtet, dass auch Investoren für Müggelturm, Rübezahl und Strandbad abspringen. Für eine Änderung der Flugrouten will sie bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Schließlich sei im Planfeststellungsverfahren für den Flughafen kein Überflug der Müggelseeregion vorgesehen. Wie sie haben die meisten Friedrichshagener kein Verständnis für die geplanten Flugrouten. „Die Grundstücke verlieren an Wert“, sagt Cornelia Freitag, 29. „Hauptsache, der Westteil Berlins ist entlastet, dafür hat sich Wowereit ja eingesetzt“, ärgert sich Wernfried Hübel, 62. „So kann das nicht bleiben.“ Er befürchtet, dass der Flughafen, einmal fertig, weiter ausgebaut wird und dann noch mehr Flugzeuge über die Köpfe der Friedrichshagener donnern. Andrea Hackbeil, 50, ist vor drei Wochen aus Frankfurt nach Friedrichshagen gezogen und wohnt dort zur Miete. „Zum Glück haben wir nicht gekauft. Aber erstmal abwarten, wie laut es dann wird“, sagt sie. Irgendwo müssten die Flugzeuge ja fliegen, sagen andere. Nur bitte nicht unbedingt über Friedrichshagen. Verkäuferin Halina Hallier, 61, aus Köpenick versteht den Protest nicht. „Alle wollen einen nahen Flughafen, aber keiner will ihn vor seiner Tür“, sagt sie.

Beatrice Wöhler aus Kleinmachnow dagegen ist eine Wutbürgerin. Das will sie aber richtig verstanden wissen: „Wutbürger, das sind Menschen, die sich ihrer Rechte bewusst sind“, sagt die Juristin, die vor einigen Jahren aus Niederbayern nach Kleinmachnow gezogen ist. Über die vorgesehenen Routen sei sie schockiert. Eine große Veränderung zu den im vergangenen Herbst bekannt gewordenen Plänen der DFS erkenne sie nicht.

Die Flugsicherung dagegen verweist darauf, dass die Route jetzt weiter südlich verlaufe und damit auch weiter von Kleinmachnow entfernt sei. Zudem werde nur ein Dutzend Flugzeuge am Tag diesen Bereich überqueren. Dies seien Maschinen, die die vorgeschriebene Höhe für das Verlassen der Routen, 5000 Fuß, bereits vor Ludwigsfelde erreichten und deshalb früher abdrehen dürfen – wenn der Lotse zustimme. Die Proteste in Kleinmachnow und Stahnsdorf verstehe man nicht, heißt es bei der Flugsicherung.

Und selbst wenn jetzt eine verbesserte Routenführung versprochen werde, glaubt Wöhler noch nicht daran, dass dies nach den Wahlen in Berlin in diesem Herbst auch tatsächlich gehalten wird. Sie und ihr Mann überlegten nun, aus Kleinmachnow wegzuziehen, vielleicht in den Norden von Berlin. Für Lydia Hurtienne, die in einem kleinen Laden an der Förster-Funke-Allee gerade frisches Obst und Gemüse einkauft, ist die Sache weniger eindeutig. „Wir leben hier nicht in Sibirien, eine lebendige Stadt wie Berlin quasi vor der Haustür zu haben, hat viele Vorteile, beinhaltet aber eben auch, Dinge wie einen Flughafen in Kauf zu nehmen.“

Eine andere Kleinmachnowerin, die gerade über den Rathausmarkt schlendert, ist überzeugt, dass Orte wie Kleinmachnow „im Geschacher um die Flugrouten tendenziell eher bessere Chancen haben“. „Hier wohnt viel Prominenz, viele hier haben große Grundstücke und sind daran interessiert, den Wert ihrer Häuser zu halten.“ Andererseits müssten die Flüge aber irgendwo lang, schön sei der die Belastung für niemanden. Für ihre kleine Tochter wünscht sie sich aber möglichst wenig Lärm.

Für den Vorsitzenden der Bürgerinitiative „Weg mit den Flugrouten über Kleinmachnow“, Matthias Schubert, steht indes fest: „Wir leisten weiter Widerstand.“ Es sei dramatisch für die Region, dass alle Flugzeuge bei Westwind zu Zielen im Norden und Osten zwischen Berlin und Potsdam direkt über Stahnsdorf und Kleinmachnow „hindurchgeleitet“werden, erklärte er am Dienstag.

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