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Stein für Stein. Das Erdreich gegenüber vom Roten Rathaus wird durchgesiebt. Würfel fanden die Archäologen dort und Silbermünzen aus dem Mittelalter. Sie zeigen, dass Berlin schon damals Anlaufstelle für Kaufleute aus Pommern, Ostpreußen und Böhmen war.

© Mike Wolff

Von Lothar Heinke und Ralf Schönball: Unterm Pflaster liegt die Stadt

Bei Bauarbeiten für die neue U-Bahn in Berlin-Mitte machten die Archäologen überraschende Funde

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Berlin - Die Überraschung lag ein bis zwei Meter unter der heutigen Straßenkante: Bei den Grabungen zum Neubau der U-Bahn-Linie 5 in Berlin-Mitte haben Archäologen unerwartet gut erhaltene Reste des Hauptsaals des „Alten Rathauses“ von Berlin freigelegt. Das aus dem 13. Jahrhundert stammende Gebäude war nach der Errichtung des Roten Rathauses im Jahr 1865 abgerissen worden. Jetzt haben die Archäologen neben historischen Säulen unter anderem auch Würfel und Silbermünzen geborgen. Da das Gebäude als eines der „Gründungsbauwerke der Stadt“ gilt, ist eine Debatte um den Umgang mit dem neu entdeckten historischen Erbe vorprogrammiert.

Den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) drohen dadurch Zeitverzögerungen und Mehrkosten bei der Realisierung der geplanten Bahntrasse. Denn just an der Stelle, an der die Archäologen fündig wurden, plant die BVG den Eingang des neuen U-Bahnhofes „Berliner Rathaus“. Ob die archäologischen Arbeiten überhaupt im vorgesehenen Zeitrahmen bis Januar abgeschlossen werden können, ist derzeit jedoch unklar. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung kündigte eine „Bestandsaufnahme“ an, bei der geprüft werden soll, wie man mit dem historischen Erbe umgehen muss.

„Wir sind für alle Ideen offen, Reste der Vergangenheit zu zeigen und für die Zukunft zu bewahren“, sagt BVG-Sprecher Klaus Wazlak. Denkbar sei, die Gemäuerreste in den neuen Bahnhof zu integrieren und womöglich hinter Glas zu zeigen. „Über die nicht ganz unwichtige Kostenfrage muss man aber ebenso sprechen wie über die technischen Möglichkeiten“, betonte Wazlak. Auch im beauftragten Architekturbüro „Collignon“ hält man sich mit Prognosen über die Zukunft der steinernen Vergangenheit noch bedeckt, lässt aber durchblicken, dass es bereits Planungen gibt.

Nach Überzeugung des an den Ausgrabungen beteiligten Archäologen Bertram Faensen vom Landesdenkmalamt ist gerade erst ein Viertel des einst 30 Meter langen und 17 Meter breiten Rathaus-Gebäudes ausgegraben worden. „Die Befunddichte im Alten Rathaus hat uns überrascht“, sagt Faensen. Beim Durchsieben des Bodens habe man unter anderem zahlreiche Münzen entdeckt. „Nicht nur mit brandenburgischer Prägung, sondern auch aus Ostpreußen, Pommern und Böhmen“, sagte Faensen. Anhand dieser Funde könne man Teile des Handels- und Warenverkehrs nachzeichnen und so Erkenntnisse über die Wirtschaftsgeschichte der Region gewinnen.

Die bisher ausgegrabenen Säulen und Böden sollen abgedeckt und zum Schutz vor der Witterung wieder mit Sand zugeschüttet werden. Dies ist die billigste Lösung. Im Gespräch war dem Vernehmen nach auch ein „Wetterschutzdach“ aus Kunststoff. Dies wäre die elegantere Lösung gewesen, weil die Archäologen den Winter durcharbeiten könnten und die Funde auch den Berlinern präsentiert werden könnten.

Es ist nicht die einzige Fundstelle im Umkreis der BVG-Baustelle: Nordwestlich des heutigen Neptunbrunnens wurden die Keller der Seidenmanufaktur entdeckt, in der Moses Mendelssohn ab 1754 zunächst als Buchhalter und später als Teilhaber wirkte. Der jüdische Theologe und Philosoph, dessen Freund Gotthold Ephraim Lessing ihm mit seinem Drama „Nathan der Weise“ ein Denkmal setzte, zählte im 18. Jahrhundert zu den Vordenkern der Aufklärung in Berlin. Die Manufaktur lag an der Jüdenstraße, wo es nach Angaben von Hendrik Kosche von der Jüdischen Gemeinde auch Thora-Schulen gegeben hat.

Auch weiter südlich könnten die Archäologen bald fündig werden: unter dem heutigen Parkplatz des „Neuen Rathauses“ am Eingang des Klosterviertels befand sich der Große Jüdenhof, ein hofartiger Komplex. Ein Teil dieser Stadtgeschichte könnte durch den Rückbau der Grunerstraße zumindest vom Grundriss her wieder belebt werden.

„Wir erhalten jetzt bestätigt, was wir schon immer gesagt haben : Unterm Pflaster liegt die Stadt“, sagt Beate Schubert, Vorsitzende des Vereins „Berliner Historische Mitte“ (BHM). Sie plädiert dafür, dass man sich bei der Gestaltung des Areals mit der Historie auseinandersetzt. „Dass BVG und Senat den Gedanken, die Reste sichtbar zu machen, positiv gegenüberstehen, freut uns sehr“.

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